Fesseln der Unvergaenglichkeit
nach dem Frühstück besuchte. Er folgte dem eleganten Flur bis zu ihrem Reich.
Seit ihr Mann Juliano vor zwanzig Jahren von einem Vampir getötet wurde, lebte sie in einer abgetrennten Wohnung in der Residenz der Visconti, die den fünfzigsten Stock im Trump Tower ausfüllte. Die weiße Eingangstür öffnete sich, bevor Leonardo klopfen konnte.
»Ich habe deine Schritte gehört.«
Leonardo erschrak. Neele sah müde aus. Ihre Haut erschien ihm noch durchsichtiger als sonst und erinnerte ihn an weißes Porzellan. Die glitzernden Strahlen ihrer Seele wurden durch dunkle Schatten getrübt.
»Wir müssen uns unterhalten.« Sie zog ihn ins Wohnzimmer zum Sofa. Der Raum war in Weiß gehalten. »Ich werde Helena kommen lassen. Meine Kraft verlässt mich, wir dürfen nicht mehr länger warten.«
Ihre Worte erschienen Leonardo unwirklich, wenn er ihr ebenmäßiges glattes Gesicht ansah.
»Ich dachte, ich hätte noch mehr Zeit zur Verfügung, aber ich habe mich getäuscht.« Sie strich eine Locke ihrer blonden Haare nach hinten. »Eure Hochzeit muss so schnell wie möglich stattfinden.«
Leonardo hörte wie aus weiter Ferne seine Worte. »Ich kann Helena wegen Daphne nicht heiraten.«
»Du denkst immer noch an Daphne?«
Leonardo nickte. Eine kalte Hand drückte sein Herz zusammen. Er brachte es nicht über sich, Neele die Wahrheit zu gestehen. Ihre Gesundheit erschien ihm im Moment zu zerbrechlich.
»Komm, ich werde dich anleiten, wie du deine Heilkräfte mobilisieren kannst, um Daphne zu vergessen.«
Neele stand auf, nahm ihn bei der Hand und führte ihn in das nächste Zimmer. An der Wand stand ein Abstelltisch aus Perlmutt. Darauf lagen ein silberner Kelch und ein Gefäß, aus dem feine Rauchschwaden quollen. Es roch nach Weihrauch. »Setz dich.« Neele zeigte auf ein Kissen an der Wand.
»Ich werde die Wassergöttin Erzulie anrufen.« Sie durchschritt den Raum und hieß nacheinander die Engel Michael, Raphael, Uriel und Gabriel im magischen Kreis willkommen.
In ihrer Hand blitzte es auf und die Luft füllte sich mit Energie. Neele stellte sich in die Mitte des Kreises und wiegte ihren Körper. Sie begann zu tanzen, und drehte sich immer schneller, während ihre Hände Muster in die Luft zeichneten. Daphne erschien. Er erinnerte sich an ihren verführerischen Körper, als Neele innehielt und auf den Boden sank. Leonardo stürzte zu ihr, beugte sich über sie. »Neele hörst du mich?« Er sprach leise, um sie nicht zu erschrecken.
Neele öffnete ihre Augen. »Was ist passiert?«
»Du bist ohnmächtig geworden. Geht es dir gut?«
Mit einem Seufzer sah sie ihn an. »Es tut mir leid, ich kann dich nicht anleiten. Ich habe keine Kraft mehr.«
»Neele, warum hast du mir nicht gesagt, wie schwach du bist? Ich hätte niemals zugelassen, dass du das Ritual abhältst.«
»Eben darum.« Neele sah ihn lächelnd an. »Aber lass mich zuerst die Engel wieder verabschieden.«
Energie umgab Neele und ihn.
»Ihr Engel, ich danke euch.« Neeles Stimme klang brüchig. Im Flüsterton verabschiedete sie jeden mit seinem Namen.
Leonardo beugte sich zu ihr herunter. »Neele, du musst dich jetzt ausruhen.« Er hob sie hoch und trug sie in ihr Schlafzimmer. Vorsichtig legte er sie auf ihr Bett und deckte sie zu.
»Leonardo, du musst zu Kaliope gehen, niemand beherrscht die Weiße Magie besser als sie. Versprich es mir.«
»Ich verspreche es dir.« Leonardo ergriff ihre zarte Hand und führte sie an seine Lippen. Mit einem Kuss besiegelte er seine Worte.
Neele schloss beruhigt ihre Augen und der Schatten eines Lächelns huschte über ihr Gesicht.
»Ich weiß, dass du mich nicht enttäuschen wirst.« Die Worte trafen ihn wie Faustschläge. Neele vertraute ihm. Sie schlief ein, ohne zu ahnen, welch grausames Schicksal er über die Viscontis gebracht hatte, über ihren Sohn Zakhar, den sie abgöttisch liebte und verwöhnt hatte, sodass sie ihm seine Bitte, eine Vampirin anste lle einer Lix heiraten zu dürfen, nicht hatte abschlagen können. Sie hatte ihm ihren Segen gegeben, obwohl es ein Risiko darstellte, die Lix-Verbindung in einer Generation zu überspringen. Wenn Zakhar nur Töchter bekommen hätte? Leonardo verließ den Raum. Er durfte auf keinen Fall seinem Vater begegnen, aber er konnte das Haus nicht verlassen, ohne etwas zu trinken. Zu lange hatte er seinen Durst verdrängt, jetzt meldete er sich quälend. Leonardo durchquerte das Wohnzimmer. Wahrscheinlich befanden sich Joanne und Greg, die beiden Eingeweihten, um
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