Fesseln der Unvergaenglichkeit
fixierte ihn, als wollte sie ihm an die Gurgel springen. Dann sah sie Aiyana an. »Ich möchte mich gern mit dir allein unterhalten. Unter vier Augen.« Sie ging in die Küche, kam mit einem Glas Wasser zurück und setzte sich neben Aiyana. Sie wirkte wie ein Boxkämpfer, der seinem Gegner die Seitenflanke zuwandte, als sie Leonardo ansah.
»Würden Sie uns bitte allein lassen? Ich muss heute Abend in meiner Sendung über den Unfall sprechen und möchte herausfinden, was passiert ist. Ich bin während meiner Arbeitszeit hier und muss wieder ins Studio zurück.«
Leonardo stand auf. »Sie irren sich, und sobald Sie mit der Polizei gesprochen haben, werden Sie sehen, dass ich die Wahrheit sage.« Er wandte sich Aiyana zu und sekundenlang verschmolzen ihre Blicke. »Bis bald, Aiyana.« Er eilte hinaus.
Moira saß kerzengerade auf ihrem Platz und sah ihm schnaubend hinterher. »Er lügt.« Sie drehte sich zu Aiyana. »Seine Schönheit ist kein Grund, ihm blindlings zu vertrauen.«
Aiyana streckte sich, die Schmerzen in ihrem Rücken stachelten sie an. »Wie kannst du es wagen, Leonardo so zu behandeln?«
Moira schüttelte den Kopf. »Du bist diesem Verbrecher bereits verfallen. Wach auf, bevor ein Unglück geschieht.«
Aiyana schnappte nach Luft. »Wenn du das von Leonardo denkst, ist es besser, du verlässt auf der Stelle meine Wohnung.«
Moira sah Aiyana wie versteinert an. »Wie kannst du einem hergelaufenen Typen mehr vertrauen als mir?« Ruckartig stand sie auf. »Ich habe mich anscheinend in unserer Freundschaft getäuscht.« Mit eiligen Schritten verließ sie den Raum. Die Tür schlug krachend hinter ihr zu.
Aiyana sank auf ihrem Sofa zusammen. Ihre Tränen kamen nicht von ihren starken Rückenschmerzen. Sie kannte Moira zwar erst seit einem Jahr, aber sie hatte nie eine bessere Freundin gehabt. Moira arbeitete als Moderatorin für die NYC-Studios und hatte sie das erste Mal an einem heißen Augusttag interviewt. Sie hatten schnell angefangen, sich auch außerhalb ihrer Arbeitszeit zu treffen. Sie hatte nie eine so enge Freundschaft gehabt. Sie vertraute Moira und konnte ihr alles erzählen. Hatte Moira recht, wenn sie in Leonardo nur einen Verbrecher sah?
*
Leonardo landete im Theodore Francis Flughafen in Providence. Er besaß kein Gepäck, ging sofort nach der Passkontrolle zum Ausgang und beschloss, nach Woods Hole zu rennen. Nach einer halben Stunde tauchten die grünen Landzungen auf, die sich wie die Arme eines Tintenfisches im Meer ausbreiteten. Das helle Mittagslicht verlieh den Konturen harte Schatten. Schnell fand er die Aloha Road. Sie lag am Rande des Pazifiks und wer keine Angst vor drohenden Überflutungen hatte, fand hier Ruhe und Einsamkeit. Zwischen den weit auseinander stehenden Residenzen kämpften verwachsene Bäume um ihr Überleben. Er erkannte das Haus, das er sich auf Google Earth angesehen hatte. Zögernd und angespannt näherte er sich dem roten Gebäude. Er hatte es nicht gewagt, Neele auszufragen. Kaliope besaß ungeheure Kräfte. Wenn ihr Urteil über sein Vergehen zu seinen Gunsten ausfiel, konnte sie die weiße Magie nutzen, um den Fluch rückgängig zu m achen. Sobald er vor dem Haus stand, öffnete sich die Tür.
»Komm herein, Leonardo. Ich spüre seit einer Weile, dass du kommst.«
Kaliope glich auf den ersten Blick Neele. Erst beim genauen Hinschauen bemerkte Leonardo die kantigen Züge, die ihr eine eigene Schönheit schenkten. Das tief geschnittene graue Kleid betonte ihre weiße Haut, die daran erinnerte, dass sie eine Lix war.
Er räusperte sich. »Wir haben telefoniert, ich wollte Sie nicht unangemeldet überfallen.«
Kaliope schüttelte seine Hand. »Du hast mir am Telefon gesagt, dass Neele im Moment leider zu schwach ist, um ein Ritual durchzuführen. Das tut mir leid für sie.«
Leonardo nickte. »Ja. Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass sie ein Ritual abhält.«
»Du musst dir keine Vorwürfe machen. Ich kenne Neele. Sie ist eine ausgezeichnete Schauspielerin und immer bereit, sich für andere aufzuopfern. Sie hat bestimmt nichts von ihrer Schwäche erwähnt, darum konntest du nicht ahnen, wie schlecht es ihr ging.«
»Ja, leider. Ich musste ihr versprechen, mich bei Ihnen zu melden und bin sehr froh, dass Sie sich so schnell um mein Problem kümmern können.«
Kaliope schüttelte ihren Kopf. »Leider habe ich nur wenig Zeit zur Verfügung, da ich nachher nach Miami fliegen muss. Aber ich wollte dich noch treffen, bevor ich gehe. Du hast
Weitere Kostenlose Bücher