Fesseln der Unvergaenglichkeit
widersetzte. Juri wurde von der Ballettwelt vergöttert und es kam einem Ritterschlag gleich, in seinen Olymp aufgenommen zu werden.
Aiyana steckte ihre Haare hoch und zog das blau-weiße Kleid für den ersten Akt an. Der Stoff fühlte sich weich und glatt an und schwebte bei jeder Bewegung anmutig um sie herum. Sie drehte sich und blickte in den Spiegel. Giselle, das Bauernmädchen, lächelte ihr entgegen.
Die Nervosität kroch unaufhaltsam durch ihren Körper. Mit zittrigen Fingern befestigte sie die Bänder ihrer Spitzenschuhe. Sie atmete tief ein und dachte an Juris’ Worte.
Ich habe dich gnadenlos gedrillt und dich auf diesen Moment vorbereitet, du schaffst das .
»Solisten zur Bühne!«, klang es durch den Lautsprecher.
Sie zuckte zusammen. Wie oft hatte sie diese Worte in der gemeinsamen Garderobe mit den anderen Mädchen gehört und sich vorgestellt, wie es sich anfühlen musste, so aufgerufen zu werden. Heute galt es ihr. Vorfreude durchfuhr sie wie ein Feuerwerk, als sie die Garderobentür öffnete und auf den Korridor stürzte.
Viorel sprang zur Seite und sah sie bewundernd an. »Unsere wunderschöne Giselle sorgt schon hinter der Bühne für Überraschungen.« Er hastete den Korridor entlang. Mit zitternden Beinen folgte sie ihm.
Das Halbdunkel hinter der Bühne beruhigte sie. Das murmelnde Stimmengewirr der Zuschauer wurde immer leiser und mit dem ersten Ton der Ouvertüre verstummte es.
Aiyanas Körper verwandelte sich in ein Instrument, das nur darauf wartete, gespielt zu werden. Ihr Atem verband sich mit dem Rhythmus der Klänge, als sie in das gleißende Licht trat.
Giselle, das Bauernmädchen, übernahm die Führung ihres Körpers. Die bedingungslose Liebe zum Prinzen ließ sie vor Leidenschaft vibrieren, mühelos bewältigte sie die schwierigen Sprünge. Wie ein Meteorit drohte ihr Körper zu verglühen, als Viorels Hände sie emporhoben. Sanft stellte er sie auf ihre Spitzenschuhe zurück. Seine Muskeln strafften sich kraftvoll, als er die Bühne mit großen Sprüngen überqu erte.
Das Orchester wechselte zu einer sanften Melodie. Aiyana spannte sich wie ein Pfeilbogen und hob ihr Bein senkrecht in die Luft. Ohne nachzudenken, atmete sie kurz ein und bereitete ihren Körper für die Rotation nach hinten vor. Sie konzentrierte sich auf ihren Fuß, sah aus den Augenwinkeln einen dunklen Schatten. Ein harter Schlag traf ihren Rücken. Ihr Schrei hallte in ihren Ohren, während sie zu Boden stürzte.
*
Leonardo knurrte, als er neben Iwan aus dem sanften Dämmerlicht in die helle Eingangshalle des David Koch Theaters trat. Ein Smoking wäre das passende Kleidungsstück für diesen Anlass gewesen. Zum Glück hatte er heute Morgen seinen schwarzen Armani-Anzug ausgesucht, ein halbwegs passabler Ersatz.
Tausend Halogen-Spots bestrahlten die High Society von Manhattan, die mit Champagner auf das Ballettereignis der Herbstsaison anstieß. Die edlen Roben bestanden zum Teil nur aus schmalen Stofffetzen. Auf der großzügig zur Schau gestellten nackten Haut glänzten beinahe monströse Diamanten und funkelten mit Rubinen um die Wette.
Leonardo versuchte, das Stimmengewirr auszuschalten. Seine Gedanken kreisten um die Frau mit der filigranen Seele. Warum hatte er das Auto nicht angehalten, bevor es weiterfuhr? Er hatte keine Anhaltspunkte, wie sie hieß und wo er sie finden konnte. Er wollte die Frau kennenlernen. Wie musste es sich anfühlen, von diesen Lippen geküsst zu werden? Er zeichnete in Gedanken den sanften Halbbogen nach und spürte, wie Schauder seinen Körper durchströmten. Er überließ sich dem Gefühl, obwohl er sich seit dem Tod von Daphne geschworen hatte, den Frauen fernzubleiben.
Iwan stürmte voraus in den Theatersaal. Leonardo folgte ihm wie eine Marionette. Der Prunk des hohen Raumes hatte ihm während der häufigen Besuche mit seiner Mutter immer gefallen. Heute widmete er der weinroten Tapete und den von Lichtern gesäumten Balustraden keinen Blick und plumpste in der vordersten Reihe auf seinen Stuhl. Iwan hopste wie ein Teenager neben ihm auf und ab. »Angelina hat einen Soloauftritt im zweiten Akt.« Seine Augen klebten auf dem glänzenden Programm, das er mit spitzen Fingern wie ein kostbares Edelmagazin festhielt.
»Diesmal hat deine Flamme sogar einen Namen?« Leonardo schüttelte den Kopf. »Du bist mein bester Freund und ich schätze dich sehr, aber im Moment benimmst du dich wie ein liebeskranker Trottel.« Er beugte sich nach vorn über die
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