Fesseln des Herzens
der Baron stirbt, dann ist deine Sorge ohnehin hinfällig. Und falls Woodward ein falsches Spiel treibt, wird er die Kampfkraft unserer Männer zu spüren bekommen.«
»Aber noch lebt Ravencroft!«, gab Nicole zurück und sah ihn mit vor Zorn flammendem Blick an. »Ich wünschte, der Bolzen hätte ihn besser getroffen. Allein deswegen hat es dieser Mann verdient zu sterben!«
Erneut tönte Hufgetrappel vom Hof hinauf, doch diesmal ging Nicole nicht zum Fenster. Sie hatte die Hoffnung, dass der Bote noch eintreffen würde, für heute aufgegeben. Stattdessen schmiegte sie sich an Henry und genoss es, dass er seine Arme zärtlich um sie schlang. Erst als sich Schritte der Tür näherten, entfernten die beiden sich wieder voneinander.
Wenig später trat Nicolas St. James ein. Seine Miene wirkte erschöpft, und sein Rücken war ein wenig gebeugt. Er sah aus, als hätte er die vergangenen Nächte durchwachen müssen.
»Was gibt es?«, fragte Henry, und aus dem Augenwinkel heraus sah er, wie ein hoffnungsvolles Leuchten in den Augen der Baronin erschien.
Allerdings nur kurz, dann schlug sie auch schon die Augen nieder, als erwarte sie das Schlimmste.
»Der Baron …«, begann der Soldat, und plötzlich erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht. »Er ist heute erwacht! Das Fieber ist gesunken, und die Schäferin glaubt, dass er das Schlimmste überstanden hat. Unser Herr lebt!«
Jedes einzelne Wort traf Nicole wie ein Schlag. Der Plan war fehlgeschlagen. Ravencroft würde sich wieder erholen und dann den Gefangenen befragen.
Dieser Gedanke stürzte die Baronin unmittelt in solch eine tiefe Verzweiflung, dass sie sogleich in Tränen ausbrach.
Sie warf sich Henry entgegen, der sie auffing, ohne sich im Geringsten anmerken zu lassen, dass ihn die Nachricht ebenfalls schmerzlich traf.
St. James blickte ein wenig verwundert drein, aber Fellows hatte sogleich eine Erklärung für ihn parat. »Mylady hat sich so große Sorgen um ihren Gemahl gemacht, dass die Erlösung sie wie ein Schock trifft.«
»Das tut mir leid«, entgegnete der Soldat, nicht ganz überzeugt.
Henry spürte seine Verwunderung und fügte rasch hinzu: »Reite zurück und berichte Aimee und dem Baron, dass der Übeltäter gefasst ist.«
»Sehr wohl, Hauptmann.« St. James verneigte sich, dann verließ er den Raum.
Nicole schluchzte noch immer an Henrys Brust.
»Wir sind verloren. Wie konntest du ihm nur sagen, dass Woodwards Mann gefasst wurde?« Ich verstehe das nicht, wie konntest du das nur tun?
»Weil es meine Pflicht als getreuer Untergebener ist«, entgegnete der Leibwächter freudlos. »Wie du siehst, werde ich diese Rolle noch eine Weile spielen müssen.«
»Du musst Woodward in Kenntnis setzen«, sagte Nicole, nachdem sie einen Moment lang überlegt hatte. »Vielleicht will er seinen eigenen Mann ja sogar retten. Solange der Baron nicht zurück ist, könntest du dafür sorgen, dass er befreit werden kann.«
Fellows war nicht sicher, ob Woodward sich darauf einlassen würde, immerhin hatte der Attentäter kläglich versagt.
Aber in einem Punkt hatte Nicole recht: Woodward musste erfahren, was geschehen war, damit sie rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen konnten. Solange der Baron noch nicht in der Burg war, konnten sie alles für einen zweiten Mordversuch vorbereiten.
Nicolas St. James ließ sein Pferd galoppieren, so schnell es konnte. Seit einer Stunde war er unterwegs, als der kleine See, der zu Aimees Turm gehörte, endlich vor ihm auftauchte. Die Dämmerung setzte bereits ein, und er erreichte den Turm gerade noch vor Einbruch der Dunkelheit.
Die Schäferin trat ihm an der Pforte des Turms entgegen.
Ihm fiel auf, dass sie trotz ihrer Müdigkeit ein Strahlen in den Augen hatte.
»Ich habe Neuigkeiten, Aimee!«, rief er und sprang aus dem Sattel.
»Welcher Art?«, fragte die Schäferin und gebot ihm, sich auf der kleinen Bank ihres Vaters niederzulassen.
»Sie haben den Mann gefasst, der den Baron angeschossen hat. Die Soldaten vermuten, dass es jemand aus der Garde Woodwards ist.«
Das überraschte Aimee nicht. Im Gegenteil, insgeheim hatte sie bereits damit gerechnet.
»Was werden sie mit ihm machen?«
»Zunächst haben sie ihn in den Turm gesteckt, und dort wird er schmoren, bis der Baron bereit ist, Gericht über ihn zu halten. Doch egal, was er ihm sagen wird, sein Schicksal wird gewiss das Henkersbeil oder der Strick sein. George of Ravencroft mag ein gütiger Herr sein, aber in diesem Fall ist es sein Recht, das
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