Fesseln des Herzens
nächsten Tagen Ausschau nach mir. Ich werde dich abholen, sobald ich weiß, was in der Burg vor sich geht.«
»Ich werde dich jeden Tag erwarten«, entgegnete sie, während sie versuchte, ihre Tränen der Sehnsucht zurückzuhalten, und entließ ihn schließlich schweren Herzens aus ihren Armen.
Die ganze Nacht über arbeiteten die Handwerker an der Richtstätte. Es handelte sich dabei um ein riesiges Podest, das von vier dicken Pfeilern getragen wurde. Da die Erbauer schnell vorankommen mussten, blieb keine Zeit, um Kanten zu glätten und die Oberfläche abzuhobeln. Die Bretter waren extrem grob gesägt, dicke Nägel hielten das Blutgerüst zusammen. Zum Schluss wurde der Richtblock herbeigeschafft. Auch dessen Oberfläche war rauh, und die einzige Bearbeitung, die man ihm hatte zukommen lassen, war eine kleine Mulde, in die der Delinquent den Kopf legen sollte.
Erst gegen Morgen verklang das Hämmern und wurde vom Läuten der Glocken abgelöst, das die Gläubigen zum Gebet rief.
Geschlafen hatte in der Burg angesichts des Lärms kaum jemand. Auch die kleine Baroness war zwischendurch immer wieder wach geworden. Ravencroft hatte ihr Schreien vernommen, als er auf den Burghof geritten war.
Nun, zur neunten Stunde, versammelten sich die ersten Schaulustigen auf dem Burghof, um zuzusehen, wie der Kopf des Attentäters fiel. Der Baron beobachtete das Treiben von seinem Fenster aus. Die Erinnerung an die Nacht mit Aimee vertrieb für einen kurzen Moment den Grimm auf den Attentäter – und auf seine Gemahlin. Doch schneller, als es ihm lieb war, kehrten die finsteren Gedanken zu ihm zurück.
Bevor er Nicole wegen Fellows zur Rede stellen konnte, hatte sie sich wegen angeblichen Unwohlseins in ihre Gemächer zurückgezogen. Da Ravencroft selbst zu Aimee wollte, hatte er es dabei bewenden lassen. Doch am heutigen Tag würde sie nicht mehr darum herumkommen.
Als die Kirchenglocken die zehnte Stunde einläuteten, begab sich der Baron, gefolgt von St. James, hinunter zur Richtstätte. Nicole folgte kurze Zeit später.
Sie trug ein dunkelblaues Kleid und einen Schleier in gleicher Farbe, der ihre Haut noch blasser wirken ließ. Wie schon gestern war ihr Blick unstet, und immer wieder wanderte er zum Burgtor, als schien sie auf die Ankunft von jemandem zu warten.
Der Burghof war inzwischen voller Menschen. Egal ob Bettler, Bauer oder Kaufmann, alle wollten dabei sein, wenn der Attentäter starb.
Unter dem Johlen und Buhen der Menge wurde der Mann schließlich zum Richtblock geführt. Der Henker schliff noch einmal demonstrativ seine Axt und testete die Schärfe der Klinge an einem Stück Leinen.
»Henker, wie viele Hiebe brauchst du?«, fragte jemand aus dem Publikum.
Als der Henker drei Finger hob, heulte die Menge auf wie ein Rudel blutrünstiger Wölfe.
Murdoch erhielt nun Gelegenheit, seine letzten Worte zu sprechen, doch stattdessen spuckte er auf das Podest.
Auf ein Zeichen des Barons drückten die Henkersknechte den Mann unsanft auf den Boden. Der Henker sagte kurz etwas zu ihm, dann klammerte er seine Hände an den Richtblock.
So ein Narr, dachte Ravencroft bei sich. Geht für Woodward in den Tod. Sein abgeschlagener Kopf wird uns nicht einmal was nützen, denn er wird keine Stimme mehr haben, um uns seine Geheimnisse zu verraten.
Plötzlich kreischte der Verurteilte auf. Er hatte bereits die Arme ausgestreckt, als Zeichen, dass er bereit war, in den Tod zu gehen. Aber vorher wollte er noch etwas sagen.
»Ihr habt den Feind in Eurem eigenen Haus, Baron!«, rief er, während der Henker das Beil hochriss. »Fragt Euer Weib! Sie vögelt mit Eurem Hauptmann und hat Euch an Woodward …«
Weiter kam der Attentäter nicht, denn das Beil des Henkers sauste nieder und bohrte sich tief in den Richtblock. Entgegen seiner Vorhersage hatte er nur einen einzigen Streich gebraucht.
Als der Kopf des Mannes Blut spritzend über das Podest rollte, jubelte die Menge auf.
Ravencroft war wie versteinert. Die letzten Worte des Verräters hallten wie das Echo eines Donnerschlages in ihm nach.
Nicole of Ravencroft war einer Ohnmacht nahe, und sie krallte beide Hände in die Armlehnen ihres Stuhls.
Es ist alles verloren, ging es ihr durch den Sinn. Dann sprang sie von Panik erfasst auf und rannte los.
Der Baron bemerkte dies und erwachte aus seiner Starre. Er wäre durchaus gewillt gewesen, die Worte des Verräters als rachedurstiges Geschwätz abzutun. Doch Aimees Warnung und Fellows Verschwinden setzten sie in
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