Fesseln des Herzens
Was, wenn dieses Komplott weiter reichte als bis zu seiner Ermordung?
Ich muss Aimee in meine Nähe holen, schoss es ihm durch den Kopf, und im nächsten Augenblick begann er zu laufen. Sie mag hier ebenfalls in Gefahr sein, doch so habe ich wenigstens die Möglichkeit, sie zu schützen.
Der Morgen hatte für Aimee strahlend begonnen. Die Sonne hatte die Wolken vertrieben und ein strahlendes Glitzern auf die Wiesen vor dem Turm gezaubert.
Nachdem die junge Frau ihr Schälchen Morgenmilch getrunken und ihr Haar zusammengebunden hatte, hatte sie sich auf die Weide begeben. John hatte dort über Nacht gewacht und freute sich auf seinen Feierabend.
»Schade nur, dass die Hinrichtung vorbei sein wird, wenn ich auf der Burg ankomme«, sagte er und schwenkte seine Mütze als Abschiedsgruß.
»Ich glaube nicht, dass du was verpasst!«, rief ihm Aimee nach. »Geh lieber ins Dorf und sieh dich nach den Mädchen um, das ist ein besserer Zeitvertreib!«
John lachte dazu nur und lief los.
Er war kaum von der Weide verschwunden, da ertönte plötzlich Hufschlag.
Aimees Herz machte einen Satz, und eine tiefe Wärme breitete sich in ihrer Brust aus.
Halte in den nächsten Tagen Ausschau nach mir oder St. James. Das waren die Worte des Barons gewesen.
Ist er das?, schoss es Aimee freudig durch den Sinn, und der Gedanke, dass der Baron sie holen würde, erfüllte sie dermaßen mit Vorfreude, dass es sie nicht länger auf der Weide hielt. Mit langen Schritten rannte sie zurück in Richtung Turm.
Tatsächlich erblickte sie wenig später die Reiter. Es waren vier in Waffenröcke gekleidete Männer. Aimee stockte, als sie bemerkte, dass sie kein einziges der Gesichter erkannte.
Der Baron hatte doch gesagt, dass er St. James schicken würde.
Augenblicklich verkehrte sich ihre Vorfreude ins Gegenteil. Diese Männer konnten unmöglich im Auftrag von Ravencroft gekommen sein. Sie hielt den Atem an und verharrte auf der Stelle, dann blickte sie zu dem Baum hinüber, unter dem der Rappe angebunden war.
Vielleicht gelingt es mir ja, ihnen zu entkommen, dachte sie, während sie gegen das angstvolle Zittern ankämpfte, das in ihr aufstieg. Wenn ich es schaffe, in den Wald abzutauchen, werden sie mich nicht so schnell finden können, ging es ihr durch den Sinn.
Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die Männer immer noch den Turm betrachteten und zu sinnieren schienen, ob sie da war oder nicht, eilte sie zu ihrem Pferd. Das Tier hob den Kopf und schnaubte, was sie zusammenfahren ließ. Wenn sie Pech hatte, waren die Soldaten nun auf sie aufmerksam geworden.
Doch egal, ob sie es bemerkt hatten oder nicht, ein Zurück gab es jetzt nicht mehr. Rasch leinte sie das Tier ab und schwang sich auf seinen Rücken. Während sie mit schweißfeuchten Händen die Zügel umklammerte, blickte sie sich noch einmal nach den Männern um, dann drückte sie dem Rappen die Hacken in die Flanken.
Weit kam sie allerdings nicht.
Wie aus dem nichts stürmten ein paar Männer aus dem Gebüsch, auf das sie zugesprengt war. Offenbar waren die anderen nur die Vorhut gewesen.
Aimee riss vor Schreck an den Zügeln, worauf der Rappe scheute und sich auf die Hinterhand stellte. Nur knapp konnte sie verhindern, dass sie sich mit dem Pferd überschlug.
Die Männer wichen vor den aufwirbelnden Vorderhufen des Pferdes zurück, doch kaum war es wieder auf dem Boden aufgekommen, stürmten sie voran und packten die Zügel des Tiers.
Aimee griff nach dem Dolch des Barons, den sie auch jetzt bei sich trug.
»Was wollt ihr von mir?«, rief sie und versetzte einem der Kerle, der sich ihr von der Seite her näherte, einen Stoß mit dem Fuß. Einem weiteren fügte sie eine Schnittwunde an der Hand zu, als er nach ihr greifen wollte.
»Das Weib hat ein Messer!«, brüllte der Getroffene, worauf die anderen ein Stück zurückwichen. Allerdings nur für einen Moment.
Nachdem Aimees Versuch, den Rappen erneut zum Steigen zu bringen, fehlgeschlagen war, packte jemand sie von hinten. Ehe sie mit dem Messer nach dem Angreifer stechen konnte, umfasste eine harte Hand ihr Handgelenk und bog es nach hinten.
Der Schmerz ließ die Schäferin aufschreien. Das Messer entglitt ihr, und wenig später wurde sie aus dem Sattel gezogen.
Sie schlug um sich und brüllte laut, und in diesem Augenblick bereute sie es zutiefst, dass sich nicht einfach versteckt hatte.
»Es gibt einen Mann, der dich sehen will«, rief einer ihrer Häscher, während die anderen ihre Hände fesselten.
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