Fesseln des Herzens
habe ihr Fieber ein wenig senken können, und es ist mir auch gelungen, ihr Honigmilch einzuflößen. Jetzt schläft sie.«
Als Ravencroft an die Wiege trat, glaubte er, sein Herz würde gleich in Stücke springen. Ist das die Strafe für meine Eitelkeit?, fragte er sich. Die Strafe für meine Wollust gegenüber Aimee? Oder für meinen Angriff auf Nicole?
»Wollt Ihr mir ein wenig Gesellschaft leisten, Mylord?«, fragte die Schäferin, die erahnte, was in ihm vor sich ging. »Es tut Eurem Kind sicher gut, die Nähe seines Vaters zu spüren.«
Was ist mit der Mutter?, zog es bitter durch Ravencrofts Gedanken. Dann nahm er sich einen Schemel und setzte sich.
»Wird sie sterben?«, fragte er, nachdem er schweigend das glühende Gesicht seiner Tochter gemustert hatte.
»So ich es verhindern kann, nein, Mylord«, entgegnete Aimee, während sie die Decke über dem schlafenden Mädchen zurechtzog.
Das darauffolgende Schweigen stellte sich wie eine Mauer zwischen sie. Der Baron kam nicht umhin, ihr Haar zu betrachten. Insbesondere die roten Strähnen.
Wieder erinnerte er sich des Geredes, das sich um die junge Frau rankte. Aimee hatte es als falsch zurückgewiesen, aber vielleicht war ja doch etwas Wahres daran. Dann fiel ihm ein, dass dies nur für Menschen galt, die sie liebte. Menschen, die zu ihrer Familie gehörten. Sie mochte sich sehr gut um seine Tochter kümmern und die Kleine auch mögen, aber reichte das aus, um im Falle von Marys Tod erneut eine Haarsträhne rot zu färben?
»Ich wollte mein Weib wirklich nicht mit Gewalt nehmen«, erklärte Ravencroft, als er den Blick wieder von Aimees Haar abwandte und ihr ins Gesicht sah. Seine Stimme klang allerdings nicht so, als wollte er sich vor ihr rechtfertigen, sondern eher vor Gott, der ihn mit der Krankheit seiner Tochter bestrafte. »An diesem Abend sind die Dinge aus dem Ruder gelaufen, und ich …«
Aimees Lächeln ließ ihn verstummen. »Ihr habt es nicht getan, das ist alles, was zählt. Niemand wird Euch für etwas anklagen, das nicht geschehen ist. Schon gar nicht Gott.«
Einem inneren Impuls folgend, streckte sie einen Arm aus, um seine Hand zu berühren. Die kurze Geste durchzog den Baron wie siedendes Wasser.
»Eure Tochter wird wieder gesund werden. Selbst wenn ich Nacht für Nacht hier wachen muss. Der Tod wird sie nicht holen, das verspreche ich Euch.«
Die junge Hebamme wusste, dass solch ein Versprechen eigentlich unmöglich war. Ja, Kirchenmänner hätten es sogar als ketzerisch angesehen, denn damit stellte sie sich über Gottes Willen. Aber den Baron schien es zu beruhigen.
Er erwiderte ihr Lächeln schwach, dann fragte er: »Meinst du, dass es Woodwards Fluch sein könnte? Der Wunsch, meine Tochter tot zu sehen?«
Aimee sah ihn erschrocken an, dann schüttelte sie entschlossen den Kopf. »Nein, Mylord, ich glaube nicht, dass das Wort eines Menschen die Macht hat, einem Kind zu schaden. Gewiss hat Gott beschlossen, Euch und vielleicht auch Eure Tochter zu prüfen. Übersteht sie diese Prüfung, so wird sie gestärkt sein und der Krankheit beim nächsten Mal besser trotzen können. Das jedenfalls hat meine Mutter immer behauptet.«
»Deine Mutter muss eine weise Frau gewesen sein.«
»Das war sie«, entgegnete Aimee und griff unbewusst nach der Strähne, die sich ihretwegen rot gefärbt hatte. »Und ihr Wissen wird jetzt Eurem Kind helfen.«
Daraufhin sahen die beiden sich lange schweigend an, bis Mary sich regte und es Zeit war, sich wieder um das Mädchen zu kümmern.
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12 . Kapitel
W ie Trommelschläge donnerte Henrys Puls durch seine Ohren. Das Pferd unter ihm lief im gestreckten Galopp, Schaum flog von seinem Maul, und die Erde spritzte von seinen Hufen auf. Er selbst hielt sich geduckt, um dem Wind möglichst wenig Widerstand zu bieten. Der einfache Mantel, den er über seinen Waffenrock geworfen hatte, flatterte ihm hinterher, und sein Schwert schlug gegen die Flanken des Tiers.
Der Wald, der ihn die ganze Zeit über wie ein Verbündeter versteckt gehalten hatte, öffnete sich nun vor ihm und gab den Blick auf Felder frei, von denen die Bauern das erste reife Korn mähten. Der Geruch von trockener Erde und Stroh strömte ihm in die Nase, und aus der Ferne vernahm er die Rufe der arbeitenden Männer. Sie begrüßten gerade ein paar Frauen, die ihnen eine Mahlzeit brachten.
Henry schenkte ihnen nur kurz seine Aufmerksamkeit, dann preschte er an dem Feld vorbei. Das letzte Mal, als er diesen Landstrich zu Gesicht
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