Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fesseln des Schicksals (German Edition)

Fesseln des Schicksals (German Edition)

Titel: Fesseln des Schicksals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Gallaga
Vom Netzwerk:
sitzen!»
    Von draußen hörte man wieder die bedrohliche Stimme. «Heraus, ich werde das nicht noch einmal sagen!»
    Jetzt versuchte Hortensia aufzustehen, aber Charlotte hinderte sie daran. «Bist du verrückt geworden», schimpfte sie leise und hielt sie fest am Arm gepackt. «Was soll das werden?»
    «Ich halte das nicht mehr aus. Wenn es sein muss, stelle ich mich», gestand Hortensia erschöpft.
    In diesem Moment bellten die Hunde wieder. «Er flieht!», ertönte eine Stimme. Dann hörte man schnelle Schritte auf dem Kies neben den Gleisen. Die beiden Schwestern blickten aus dem Fenster und sahen einen Farbigen in Richtung Grenze rennen. Auf einmal hallte ein Schuss durch die Luft, und der Sklave brach zusammen.
    «Ich habe ihn erwischt», sagte einer der Männer und ging zu dem leblos auf dem Boden ausgestreckten Körper. Mit dem Fuß drehte er ihn um.
    «Hast du ihn erledigt?», rief ein anderer ihm zu, woraufhin der Mann nickte. «Er ist mausetot.»
    Endlich setzte der Zug sich in Bewegung. Erstarrt beobachteten Hortensia und Charlotte, wie der Mann, der den Sklaven erschossen hatte, nun einen Fuß auf den Leichnam setzte und triumphierend grinste.
    Erst lange nachdem sie die Grenze überquert hatten, verließ Noah sein Versteck. Selbst als der Zug in New York hielt, fühlten sie sich noch nicht sicher. Der leblose Körper des jungen Mannes neben den Gleisen rief ihnen ins Gedächtnis, was ihnen bevorstand, wenn man sie fangen und in den Süden zurückbringen würde. Es reichte nicht aus, die Grenze überquert zu haben. Die drei wussten, dass sie weiterhin vorsichtig sein mussten. Das Gesetz über entlaufene Sklaven, das die Nordstaaten dazu verpflichtete, die Flüchtlinge zu ihren Besitzern zurückzubringen, hing wie ein Damoklesschwert über ihnen. Die besten Chancen hatten sie in Massachusetts, dem einzigen Staat, der es gewagt hatte, den Süden herauszufordern und Gesetze zu erlassen, die den Vollzug des Gesetzes über entlaufene Sklaven verhinderten.
    In der Hauptstadt Boston könnten sie ohne Angst ein neues Leben beginnen.

· 26 ·
    D ie Stadt Boston war praktisch dem Meer entrissen worden. Anfangs war nur eine kleine Halbinsel zwischen dem Atlantik und dem Charles River bewohnt. Als Mitte des Jahrhunderts der Deich von Mill Pond gebaut worden war, hatte man zusätzliche zwanzig Hektar gewonnen, und nach diesem ersten Sieg über das Meer folgten weitere: South Cove, Great Cove und West Cove. Und seit zwei Jahren bemühte sich die Stadt um das ehrgeizigste Projekt von allen. Man versuchte, die zweihundert Hektar Sumpf der Bostoner Back Bay trockenzulegen und die Mündung des Charles River zu verengen.
    Ununterbrochen brachten Lastzüge dafür Kies und Erde von Neeham nach Boston. Hunderte von Männern verteilten in harter Arbeit das Füllmaterial. Ihre Arbeitstage dauerten in der Regel länger als zwölf Stunden.
    Einer dieser Männer war Noah. Als seine Schicht zu Ende war, dämmerte es bereits. Es schneite, und der Nordwind schnitt ihm wie mit Messern ins Gesicht. Noah wickelte sich den Schal fest um den Kopf und schritt rasch voran. Es war ein ganzes Stück bis nach Hause.
    Obwohl er im letzten Jahr alles versucht hatte, hatte Noah nichts Besseres gefunden als diese Knochenarbeit, bei der die Arbeiter bis zur Erschöpfung schuften mussten.
    Wegen seiner Entscheidung, die Anstellung in der Back Bay anzunehmen, hatte es mehr als einmal Streit zwischen ihm und Charlotte gegeben. Sie hatten einen Teil des Schmucks verkauft, und mit dem Erlös hatten sie ein Haus kaufen können, und es blieb ihnen noch genügend Geld, um in bescheidenem Wohlstand zu leben. Deshalb war Charlotte der Ansicht, dass Noah den Rücken nicht für eine Handvoll Münzen krumm machen sollte. Aber Noah bestand darauf zu arbeiten.
    Wenn seine Schwester wüsste, dass man ihm nur die Hälfte von dem zahlte, was seine weißen Kollegen bekamen, würde sie ihn zu Hause einsperren.
    Während Noah über all die Ereignisse des letzten Jahres nachdachte, rollte plötzlich ein kleiner Ball an ihm vorbei auf die Straße.
    Sein Besitzer, ein Junge von etwa sechs Jahren, riss sich von der Hand einer Frau in einer Dienstbotenuniform los und rannte seinem Spielzeug hinterher. Mitten auf der Straße blieb er stehen und bückte sich nach dem Ball.
    Gleichzeitig kam mit hoher Geschwindigkeit eine Kutsche angefahren. Der Kutscher hatte das Kind zwar gesehen und sofort an den Zügeln gerissen, aber Noah war klar, dass das Gefährt wegen der dünnen

Weitere Kostenlose Bücher