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Fesseln des Schicksals (German Edition)

Fesseln des Schicksals (German Edition)

Titel: Fesseln des Schicksals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Gallaga
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breites Lächeln schlagartig in sich zusammen. Offensichtlich hatte er die Kränkung, die ihm der Sohn seines Unterstützers vor Jahren zugefügt hatte, noch immer nicht vergessen. Bevor er sich Scott zuwandte, plusterte er sich noch ein bisschen mehr auf.
    «Ich bin überrascht, Sie hier anzutreffen, O’Flanagan», sagte er und taxierte mit offensichtlicher Missbilligung Scotts einfachen Anzug. Dabei warf er auch einen schrägen Blick auf den elegant gekleideten Noah. «Man sieht, dass Sie es nicht weit gebracht haben. Selbst Sklaven sind jetzt besser angezogen.»
    «Das will ich doch hoffen, Zorton. Mein Freund hier allerdings ist Medizinstudent in Harvard.»
    «In Harvard?», wiederholte Zorton ungläubig und so laut, dass ihn auch die Gäste an den Nachbartischen mühelos hören konnten.
    «So ist es», bestätigte Scott.
    «Wo soll das noch hinführen?», rief Zorton aus, in der Absicht, die Aufmerksamkeit des ganzen Restaurants auf sich zu ziehen. «Genügt ihnen denn die Freiheit noch nicht?», fragte er um Zustimmung heischend.
    Noah sah, wie die Leute in seiner Nähe nickten und miteinander flüsterten, während sie ihn feindselig anstarrten.
    Animiert durch die positiven Reaktionen in seiner Umgebung, setzte Zorton gerade zu einer längeren Rede vor seinem improvisierten Publikum an, als Noah ihn unterbrach.
    «Gewiss», sagte er, «ich bin als Sklave geboren, wie viele andere vor mir in der langen Geschichte dieser Welt. Aber genau deshalb studiere ich an der Universität.» Die Worte sprudelten einfach so aus ihm hervor, vielleicht angestoßen von der Wirkung des Weins und dem angeregten Gespräch. Zum ersten Mal in seinem Leben ließ Noah seinen Gefühlen freien Lauf. «Denn allein die Gebildeten sind frei.»
    «Bitte, was meinen Sie?»
    «Ich habe mir nur erlaubt, die Worte eines anderen Sklaven zu zitieren», antwortete Noah.
    «Sein Name ist übrigens Epiktet», ergänzte Scott. Er hatte das Zitat jenes griechischen Philosophen erkannt, der als Sklave geboren worden war und die Freiheit erlangt hatte.
    «Komischer Name für einen Sklaven», bemerkte Zorton ungeduldig.
    «Im Übrigen ein sehr passender Name», fügte jetzt auch Ralph hinzu, «denn wie Sie sicher wissen, bedeutet Epiktet ‹der Gekaufte› und weist damit auf seine Herkunft als Sklave hin.»
    «Und dieser so gebildete Sklave isst nicht zufällig auch hier mit Ihnen zu Abend?», versuchte Zorton jetzt das Thema zu wechseln. Schließlich sollte niemand bemerken, dass er kein Wort verstand.
    «Nein», antwortete Noah. «Sein Leben hat mich zwar inspiriert, aber leider habe ich ihn nie persönlich kennenlernen können. Er ist sehr weit weg von hier geboren, in Hierapolis in Phrygien.»
    «Phrygien …», murmelte Zorton. «Das liegt im Süden, nicht wahr?»
    «Wohl eher im Osten», präzisierte Scott, der sich das Lachen kaum verkneifen konnte.
    Zorton hatte absolut keine Ahnung, wo Phrygien lag, und sah Scott jetzt voller Verachtung an. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie Scott ihn damals öffentlich bloßgestellt hatte, und würde nicht zulassen, dass sich so etwas wiederholte.
    «Verzweifeln Sie nicht, mein Freund. Sie werden sicher noch einmal Gelegenheit haben, ihn kennenzulernen», sagte er und wollte sich verabschieden.
    «Ich fürchte, das ist unmöglich, Mr. Zorton», gab Noah zurück. «Epiktet lebte vor fast zweitausend Jahren auf der anderen Seite des Ozeans, im alten Griechenland. Wissen Sie, die Sklaverei ist so alt wie die Welt, der Ehrgeiz und der Krieg, und jeder kann ihr zum Opfer fallen. Egal, zu welcher Zeit oder an welchem Ort. Was Epiktet geschehen ist, kann Armen und Plebejern, Königen und Weisen widerfahren. Und das Leben dieses Philosophen, der als Sklave geboren wurde, aber frei gestorben ist, zeigt, dass Hand- oder Fußfesseln keine Bedeutung haben. Ob jemand ein großer Mann ist, hängt von der Freiheit seines Geistes ab.»
    Das Gemurmel in ihrer Umgebung verstummte. Alle sahen Zorton in Erwartung einer Antwort an. Selbst Scott war sprachlos, er hätte von Noah nie eine solche Reaktion erwartet.
    Zorton wurde kurz etwas blass, als er die erwartungsvollen Blicke auf sich spürte. Dank seiner langen Erfahrung als Politiker war er jedoch geschult darin, seine Gefühle zu verbergen.
    «Wenn Sie mich jetzt entschuldigen … Wirklich sehr erfreut, Sie kennenzulernen. Vielleicht können wir uns ein anderes Mal weiter über dieses interessante Thema unterhalten», brachte er schließlich heraus und entfernte

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