Fesseln des Schicksals (German Edition)
sich eilig von diesem Mann, der ihn wieder einmal aus der Fassung gebracht hatte und dabei wie immer von einem Haufen unerwünschter Gestalten umgeben war.
Beinahe musste Scott laut loslachen.
«Ich habe mich nicht mehr so amüsiert, seit ich beim Schach gegen Klaus Fritz gewonnen habe», platzte er heraus.
«Wirklich herrlich. Ich wusste gar nicht, dass unser Freund hier ein solcher Redner ist. Und bewandert in alter Geschichte, wie ich sehe», gab Ralph anerkennend zu.
«Es wird wohl etwas Zeit vergehen, bis dieser Mann noch einmal das Wort an uns richtet», lachte Scott.
«Hoffentlich», fügte Ralph hinzu. «Dann lässt er mich vielleicht in Frieden, er ist nämlich ziemlich hinter dem Geld meines Vaters her.»
Aber Noah war seine kleine Rede trotzdem peinlich.
«Es tut mir leid», sagte er, nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte. «Ich fürchte, ich habe euch in eine unangenehme Situation gebracht. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.»
«Du musst dich nicht entschuldigen, Noah. Dieser Kretin hat lautstark danach verlangt, dass ihm mal jemand zeigt, wo er hingehört», munterte Ralph ihn auf. Scott nickte bestätigend.
Noah beruhigte sich ein wenig. Den restlichen Abend scherzten und lachten sie, vor allem über die unzähligen Geschichten, die Scott und Ralph zum Besten gaben. Eigentlich war es einer der glücklichsten Abende, die Noah je erlebt hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben – vielleicht ein wenig berauscht vom Wein und vom guten Essen – fühlte er sich wie ein freier Mann. Einfach jemand, der mit zwei anderen Männern, die seine dunkle Hautfarbe nicht zu bemerken schienen, am Tisch saß, trank und sich unterhielt.
«Danke, es war ein wunderbares Essen. Ich habe mich noch nie so wohl gefühlt», verabschiedete Noah sich von seinen beiden Begleitern, als er sich den Mantel zuknöpfte.
«Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite», gab Ralph zurück. «Auch ich habe schon lange keinen so anregenden Abend mehr verlebt.»
«Ich hoffe, wir werden das bald wiederholen, Ralph», sagte Scott.
«Du weißt ja, für ein Glas Wein in angenehmer Gesellschaft ist in meinem vollen Terminkalender immer ein Plätzchen frei.»
Ralph hatte den beiden angeboten, sie mit seiner Kutsche nach Hause zu bringen, aber Noah lehnte ab. Er wollte noch ein Stück laufen. Er wollte dieses neue und sonderbar schöne Gefühl noch ein wenig auskosten. Das Gefühl, für einen Moment zu diesen beiden freien Männern gehört zu haben.
«Auch ich kann lernen, frei zu sein», dachte er. «Genau wie Epiktet.»
· 32 ·
D ie Hochzeit wurde Anfang September in einer kleinen Kapelle im Zentrum Bostons begangen. Es war eine schlichte, aber schöne Zeremonie. Brians Eltern und Peter, Scott, Fernando Fuentes, Noah und Charlotte waren die einzigen Gäste.
Noah führte Hortensia zum Altar. Charlotte und Scott, die sich nicht wiedergesehen hatten, seit sie bei ihm gewesen war, wechselten während der ganzen Zeit keinen einzigen Blick. Beim Mittagessen im Haus in der Beacon Street, das Raymond O’Flanagan dem jungen Paar zur Hochzeit geschenkt hatte, setzte Scott sich so weit von ihr weg, wie es in der kleinen Runde möglich war.
Nach dem Essen stand Charlotte diskret auf und ging in den Garten. Sie lief ein bisschen herum und setzte sich dann allein auf eine Bank.
Eine ganze Weile später setzte Hortensia sich zu ihrer Schwester. «Scott ist gegangen», teilte sie ihr mit.
«Er hat mich nicht einmal angesehen.»
«Er ist verletzt, Charlotte.»
«Ach, er hasst mich wohl eher.»
«Nein, er liebt dich. Er braucht einfach Zeit.»
«Er wird mir nie verzeihen.»
«Doch, das wird er. Das verspreche ich dir.»
«Ich vermisse ihn so, Hortensia», gestand Charlotte. «Warum hat er alles zerstört?»
«Er wollte nichts zerstören.»
«Aber er hat es getan.»
Hortensia wirkte nachdenklich. Sie schwieg einen Moment lang und ergriff dann die Hand ihrer Schwester. «Weißt du was, Charlotte? Ich habe es dir nie gesagt, aber ich habe immer gedacht, dass Richard nicht der richtige Mann für dich ist.»
«Warum sagst du das?»
«Er war viel zu ernst. Zu sehr auf seine Verpflichtungen bedacht. Du brauchst einen Mann, der deine Leidenschaft für das Leben teilt.»
«Richard hat mich verstanden.»
Hortensia schüttelte den Kopf. «Ach, Charlotte. Richard ist wie Brian. Vielleicht kann er dein Wesen verstehen, und vielleicht beneidet er dich sogar darum, aber er könnte es nie mit dir teilen. Mit ihm müsstest du deine wahre
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