Fesseln des Schicksals (German Edition)
brauchen, aber zum Glück hatte er einen guten Freund in der Stadt. Er nahm seinen Koffer und hielt eine Kutsche an.
Scott empfing Noah mit offenen Armen. Seit Brians und Hortensias Hochzeit hatten sie sich nicht mehr gesehen, sich aber regelmäßig geschrieben. Scott fragte in seinen Briefen nicht nach Charlotte, und Noah vermied es, seine Schwester zu erwähnen, um seinem Freund Kummer zu ersparen.
«Was für eine wunderbare Überraschung!», rief Scott aus und bat ihn in seine kleine Wohnung.
«Verzeih, dass ich mich nicht vorher angemeldet habe, aber ich weiß nicht, wo ich sonst übernachten soll.»
«Red keinen Unsinn. Fühl dich einfach wie zu Hause!»
Noah sah sich schnell um. Von der Decke blätterte der Putz ab, und ein großer Wasserfleck breitete sich an einer der Außenwände aus. Die Möbel sahen aus, als hätte Scott sie bei einer Versteigerung erstanden.
«Gemütlich hast du es hier», sagte Noah mit einem ironischen Unterton und dachte an die Sklavenhütten auf New Fortune.
«Erzähl doch, was führt dich hierher?»
«Ich werde mich freiwillig melden», antwortete Noah, und obwohl er es vermied, Scott bei diesen Worten anzusehen, spürte er, wie das Lächeln aus dem Gesicht seines Freundes verschwand. «Ich weiß, dass du gegen den Krieg bist, Scott, aber ich bitte dich darum, es einfach zu akzeptieren.»
Noah wollte nicht noch einen weiteren Streit ausfechten müssen.
«Das tue ich», sagte Scott. Dann schwiegen sie. Erst nach einer Weile klopfte Scott seinem Freund auf die Schulter.
«Was hältst du davon, deinen letzten freien Abend mit einem Essen zu begehen?»
«Gut, aber ich bezahle.»
Grinsend drehte Scott seine leeren Hosentaschen um. «Ich werde dich nicht davon abhalten!»
Das beste Restaurant der Stadt war ein überfülltes Gasthaus.
«Sehr elegant», bemerkte Noah, als sie endlich einen Tisch ergattert hatten.
Scott winkte die Kellnerin zu sich. Die Frau brauchte ein paar Minuten, bis sie sich einen Weg zu ihrem Tisch gebahnt hatte. Ihre Schürze war fleckig, und ihre Wangen leuchteten rot.
«Was darf ich bringen?», fragte sie Scott und stellte zwei Krüge Bier vor ihm auf den Tisch. Noah würdigte sie keines Blickes.
«Was möchtest du, Noah?»
«Ich habe Hunger. Mir ist alles recht.»
Scott sprach etwas lauter, um sich in dem Durcheinander Gehör zu verschaffen.
«Sie haben meinen Freund hier gehört. Bringen Sie uns von allem. Wir haben Hunger.»
Etwas vor sich hin murmelnd, machte die Frau kehrt und verschwand in der Menge.
«Die Dinge haben sich nicht verändert», sagte Noah, der bemerkt hatte, dass ein paar Männer in der Nähe auf ihn aufmerksam geworden waren.
«Dann sollten wir schnell essen. Wenn wir uns schlagen müssen, dann wenigstens mit vollem Magen.»
Noah lächelte. Er würde sich das Abendessen nicht verderben lassen.
Schon bald wurden Schüsseln und Pfannen an den Tisch gebracht. Schmorbraten, Eintopf, Kartoffeln … Noah hätte nicht gedacht, dass man an diesem Ort so gut essen würde. Als sie alles verspeist hatten, wurden ihnen noch große Stücke Apfelkuchen serviert.
«Also, ich weiß nicht, ob ich mehrere solcher Besuche überleben würde», stöhnte Scott mit vollem Mund und schaute fragend auf den letzten Rest Kuchen auf Noahs Teller.
Noah lehnte sich zurück. «Ich kann nicht mehr, Scott.»
«Schon gut, wenn du darauf bestehst …» Während Scott sich auch noch über den Kuchenrest hermachte, winkte Noah der Kellnerin und bat sie um die Rechnung. Er zahlte und gab ein großzügiges Trinkgeld. Die Frau riss ihm das Geld förmlich aus der Hand und ließ es in ihrer Schürzentasche verschwinden. Dann murmelte sie etwas, das wie ein Dankeschön klang, und verschwand.
«Du weißt wahrscheinlich, dass sie dir mehr berechnet hat, als üblich ist», sagte Scott.
«Ich weiß. Aber heute habe ich meinen großzügigen Tag.»
«Ich fürchte, du bist ein perfekter Gentleman geworden, Noah.»
Als Scott sich mit einem prüfenden Blick davon überzeugt hatte, dass sich nichts Essbares mehr auf dem Tisch befand, standen sie auf. Das Lokal war noch immer voller Menschen. Obwohl noch Sommer war, war es draußen kalt geworden, und die Reisenden suchten die Wärme des Gasthauses. Noch bevor sie an der Tür angekommen waren, hatten sie wieder zwei Krüge Bier in der Hand.
***
Am nächsten Morgen wachte Noah in Scotts Bett auf. Er hatte fürchterliche Kopfschmerzen, und als er vorsichtig aufstand, drehte sich alles. Irgendwann letzte Nacht
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