Fesseln des Schicksals (German Edition)
nehme an, du hast dich nicht rekrutieren lassen?», fragte Klaus, um das Thema zu wechseln.
«So ist es», nickte Scott.
«Freut mich. Aber sag, was führt dich hierher? Ich glaube kaum, dass du mich einfach besuchen wolltest. Was denkst du dir überhaupt dabei, mit deinem unverwechselbaren Akzent hier einfach vor meinen Männern aufzutauchen?», schimpfte Klaus. «Und dann noch unbewaffnet! Sie hätten dich töten können.»
«Haben sie aber nicht.»
«Eingebildeter Idiot. Ich sehe, die Zeit hat nicht ein einziges Körnchen gesunden Menschenverstand in diesen Sturkopf geprügelt.»
Scott grinste.
«Weshalb bist du also hier?»
Plötzlich wurde Scotts Gesichtsausdruck so ernst, wie Klaus ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Nicht einmal, als er durch sein Verschulden von der Marineakademie geflogen war. Scott rieb sich die Hände, und Klaus wandte den Blick verlegen ab. Noch immer fühlte er sich schuldig, wenn er Scotts vernarbte Haut sah.
«Ich brauche deine Hilfe, mein Freund», gestand Scott und sah Klaus an. «Es geht um Richard. Er ist verletzt und befindet sich im Gefängnis in Maryland.»
Scott brauchte den Namen dieser Hölle nicht auszusprechen. Jeder konföderierte Soldat hatte von dem Fort gehört, in dem die Gefangenen zu Hunderten an den Folgen von Hunger, Kälte und Krankheiten starben.
«Wenn wir ihn da nicht rausholen, wird er bald sterben.»
Klaus nahm noch einen Schluck und starrte ins Feuer.
«Und was können wir tun? Du erwartest hoffentlich nicht, dass ich mit meinen Männern die Front durchbreche und das Fort angreife. Ich habe nur vierhundert Leute, und die meisten würden nicht einmal mehr einen Tagesmarsch überleben. Das wäre reiner Selbstmord.»
«Ich dachte an etwas ganz anderes. Ich glaube, zwei Mann allein könnten es schaffen.»
«Zwei Mann? Bist du verrückt geworden?»
«Nein. Ich habe es mir gut überlegt. Mit ein bisschen Glück sind wir schon wieder auf und davon, bevor sie überhaupt merken, dass Richard verschwunden ist, und zwar ohne einen Schuss abgefeuert zu haben.»
«Bist du sicher, Scott?»
«Ja. Ich weiß, dass wir das schaffen können. Vertrau mir.»
Klaus sah wieder ins Feuer. Deutlich erinnerte er sich an den Mann, der fähig gewesen war, in einen brennenden Schuppen zu gehen, um ihm das Leben zu retten, ihm, der ihn gehasst hatte. Er spürte einen Kloß im Hals. Erst damals hatte er wirklich verstanden, was Mut bedeutete. Und jetzt kam der gleiche Mann, tauchte mitten im gegnerischen Gebiet auf, um ihn um Hilfe zu bitten und wieder sein Leben für einen Freund aufs Spiel zu setzen.
Für ihn und Richard würde Klaus alles tun. «Gut», sagte er. «Ich weiß nicht, wie dein Plan aussieht, aber wenn auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg besteht, müssen wir es wagen. Und wenn jemand aus so einem Wahnsinn heil wieder herauskommt, dann bist wohl du es. Ich bin dabei, Scott.»
***
Am nächsten Morgen, nachdem Klaus seinen Offiziersstab über die Einzelheiten der Operation informiert und dem höchstrangigen Offizier für die Zeit seiner Abwesenheit die Befehlsgewalt übertragen hatte, brachen sie in Richtung Norden auf.
Das Schwierigste war es, die Frontlinie zu passieren, aber Klaus’ Männer überwachten die Landstraßen, und er kannte sich gut in der Gegend aus.
Erst spät in der Nacht hielten sie und versteckten sich in einer verlassenen Hütte im Wald, wenige Meilen vom Gefängnis entfernt.
Während Klaus die Decken ausbreitete, verstaute Scott sorgsam die beiden Fässchen mit Schwarzpulver, die er unbedingt hatte mitnehmen wollen. Sie hätten gern eine Tasse heißen Kaffee getrunken, um sich in der eiskalten Novembernacht aufzuwärmen, aber der Schein eines Feuers wäre zu weit sichtbar gewesen. Auf keinen Fall wollten sie den halben Staat Maryland darauf aufmerksam machen, dass sie am nächsten Morgen das sicherste Fort auf dem Gebiet der Union angreifen würden.
Scott zog ein paar Linien auf dem Boden. Grob skizzierte er die Lage des Flusses und ihres Zielobjekts und erläuterte seinen Plan.
«Wir nähern uns von der Westseite. Der Wald ist hier sehr dicht, da sind wir besser geschützt. Danach überqueren wir an diesem Punkt den Fluss und dringen in das Gefängnis ein.»
«Ich weiß nicht, ob dir aufgefallen ist, dass es zwischen diesen beiden Punkten keinen einzigen Baum gibt», sagte Klaus und deutete auf die Zeichnung. «Hier ist alles offenes Gelände, und nicht einmal ein Eichhörnchen würde unbemerkt dort entlanglaufen können.
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