Fesselnde Entscheidung (German Edition)
vergnügt lachte.
Wieder durchfuhr sie ein Schmerz der Schuld. Überall lauerte das schlechte Gewissen. Aus jeder Ecke sprang es sie meist vollkommen unvorbereitet an. Es saß überall. Am tiefsten in ihrem Herzen.
Niemand wusste von ihrem
kleinen
Geheimnis. Jenem kleinen Geheimnis, was schnell immer größer geworden war und mit Riesenschritten heranwuchs. Es war längst kein kleines Geheimnis mehr, sondern eine schwere Schuld, die sie seit Jahren mit sich herumtrug, die stetig schwerer wog und ihr irgendwann, da war sie sich sicher, die Luft zum Atmen nehmen würde. Irgendwann werde sie unter der Last zusammenbrechen, das war ihr klar.
Am meisten bereute sie, dass sie nicht gleich damals nach Amelies Geburt mit offenen Karten gespielt hatte. Aber sie hatte es nicht übers Herz gebracht, Basti in die vor Rührung feuchten Augen zu sagen, dass das kleine Wunder, was er da in seinem Armen hielt, nicht von ihm war. Und damit hatte sie den Zeitpunkt verpasst, wie sie fand. Und jetzt war es zu spät. Oder?
Ein Teil von Tim war dabei in kleinen Schritten die Welt zu erkunden, und er ahnte noch nicht einmal etwas davon. Wieder versetzte ihr das schlechte Gewissen einen Stich ins Herz.
Natürlich musste eigentlich auch Basti die Wahrheit erfahren und irgendwann, wenn sie größer war, auch Amelie. Aber bei Basti befürchtete Elisa noch etwas ganz anderes.
Seit drei Jahren wünschten sie sich ein Geschwisterchen für Amelie. Doch ihr Wunsch war bisher unerfüllt geblieben.
Für Basti war das kein Grund zur Besorgnis, weil sie Amelie hatten und andere Möglichkeiten für ihn scheinbar nicht in Frage kamen. »Vielleicht sollen wir einfach kein weiteres Kind kriegen. Ist doch nicht schlimm, wir haben doch zum Glück unseren Sonnenschein«, sagte er meist. Elisa hingegen vermutete eine Zeugungsunfähigkeit bei Basti und hoffte, dass er nie auf die Idee käme, sie testen zu lassen.
Am liebsten hätte sie Basti immer im Glauben gelassen, dass er nicht nur Amelies Vater war, sondern auch ihr Erzeuger. Denn mit ihr erlebte er die Vaterfreuden, die er ansonsten wahrscheinlich nie gehabt hätte.
Vaterfreuden, die Tim verwehrt blieben. Und damit war sie wieder am Ursprung ihres schlechten Gewissens.
Dicke Tränen liefen über ihre Wangen und tropften auf Bastis weißes Hemd. Sie wischte sich über ihr Gesicht und atmete tief durch. Normalerweise neigte sie nicht dazu, in Selbstmitleid zu versinken. Aber heute war irgendwie alles anders.
Sie raffte sich auf und wusste auf einmal, was zu tun war. Es gab nur eine Möglichkeit, sich von ihrem schlechten Gewissen zu befreien: Sie musste beichten. Es gab keine Alternative. Tim hatte ein Recht auf die Wahrheit.
*
Gedankenversunken betrachtete Elisa den Zettel in ihrer Hand. Sie hatte seine Adresse. Über einen Vorwand hatte sie gleich am nächsten Montag von seiner Anwaltskanzlei seine Kontaktdaten erhalten. Einfacher, als sie es sich vorgestellt hatte. Die Dame war sehr auskunftsfreudig gewesen, hatte ihr sogar seine Handynummer gegeben. Nur weil Elisa sich als Mitarbeiterin einer Kanzlei ausgegeben hatte und ihr gesagt hatte, für das Opfer ein Annäherungs- und Kontaktverbot gegen ihn vor Gericht vorbereiten zu wollen. Elisa war überrascht gewesen, wie leichtfertig die Dame die sensiblen Daten herausgegeben hatte.
Und nun, fragte sich Elisa. Bereits eine Woche war sie im Besitz seiner Adresse. Sollte sie wirklich Kontakt zu ihm aufnehmen? Wieder überkamen sie Zweifel. Wie würde er reagieren? Was könnte alles passieren?
Seit ihrem Besuch in der Untersuchungshaft vor gut vier Jahren hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Nicht, weil sie nicht mehr an ihn gedacht hatte. Nicht, weil sie ihn vergessen hatte. Sondern weil es besser für sie gewesen war – für sie beide. Elisa war hin und her gerissen.
Die Last wog schwer auf ihren Schultern. Zu schwer. Der Drang, endlich ihr schlechtes Gewissen zu erleichtern, überwog und rückte die möglichen Gefahren in den Hintergrund.
Als möglichen Treffpunkt hatte sie ein altes Lokal außerhalb der Stadt im Auge. Da würde sie niemand erkennen. Überhaupt war sie eigentlich nur noch in Fachzeitschriften präsent. Niemand würde sie erkennen. Niemand würde wissen, mit wem sie sich traf.
Falls er kommen würde. Da war sie sich keineswegs sicher. Aber wenn nicht, wäre es auch nicht schlimm. Dann hätte sie es wenigstens versucht. Das reichte ihrem Gewissen.
Auf einen kleinen Notizzettel schrieb sie Datum, Uhrzeit und Ort. Dann
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