Fesselndes Geheimnis
kam meiner Ungeduld sehr entgegen, mein »Interview« schon jetzt führen zu können, und ich trieb Felix regelrecht zur Eile an.
Immer noch hauste Yvonne Maertens im alten jüdischen Diamantenviertel von Antwerpen. Pittoresk war es dort, als wäre die Zeit stehengeblieben; nicht selten sah man hier orthodoxe Juden mit Schläfenlocken – auch wir sahen einige, jedoch waren das die allerletzten Nachzügler auf dem Weg nach Hause.
Obwohl sie auf uns vorbereitet war, empfing uns die etwa 55jährige Dame recht kühl. Als hätte ihr herzliches Lachen vorhin am Telefon keine Bedeutung gehabt. Vielleicht bereute sie es schon, sich auf unseren 2-Uhr-Morgens-Besuch eingelassen zu haben? Obwohl … Sie wirkte nicht wie jemand, der bald ins Bett wollte, war vollständig bekleidet und trug einen Malerkittel. Die Ölfarbenspuren verrieten, dass sie eine Künstlerin war.
Sie unterscheidet sich von Mara Noire wie der Tag von der Nacht! Aber es heißt ja, Gegensätze ziehen sich an
… Yvonne hatte natürlich aussehendes weißblondes Haar, ihr vornehm blasses Gesicht trug Falten und ihre Haltung changierte zwischen aristokratisch und Bohemien. Ein Paar großer, dunkelblau leuchtender Augen schaute uns skeptisch, aber sehr klar und offen entgegen.
Das Innere des weitläufigen Appartements war mit Möbeln, Antiquitäten und allerlei Pflanzen gut ausgestattet, aber nicht überladen. Es gab Tausende von Büchern in Regalen, die vom Boden bis zur Decke reichten, andere Wände waren mit modernen und mit klassischen Gemälden behangen und in einigen Vitrinen waren Kristalle ausgestellt. Heilsteine.
Yvonne reichte uns – immer noch mit einem merkwürdig kühlen Gesichtsausdruck – ihre kräftige, schön geformte Hand, die nach Terpentin roch und mit blauen Farbflecken übersät war.
Ich ergriff sie und lächelte sie freundlich an, während Felix sich sogar zu einem respektvollen Handkuss hinreißen ließ. Doch das beeindruckte die Frau offenbar nicht im Mindesten. Im Gegenteil, Felix wurde von ihr geradezu argwöhnisch gemustert.
Sie hatte Tee und Sandwiches mit Brunnenkresse vorbereitet, bat uns, immer noch abweisend, im Wohnzimmer Platz zu nehmen Ich schaute mir alles ringsum genau an, versuchte ein Muster zu finden, irgendeinen Schlüssel, der Yvonne Maertens wirklich öffnen würde, damit sie uns etwas erzählte. Es war offensichtlich, dass sie skeptisch war – und nicht bereit irgendetwas preiszugeben. Also überließ ich Felix mit seinem hessisch gefärbten Französisch die Konversation; er radebrechte, dass er sich »freuen täte, dass wir zu dieser ungepassten Stunde …« und musterte in aller Ruhe die Miniaturansicht von London. Eine richtige kleine Modellstadt mitsamt Tower und allem drum und dran auf einem Ausstellungstisch, diverse Ölbilder, die Jagdszenen zeigten, unter anderem auch eine Fuchshatz,und, etwas versteckt hinter einem Stapel alter Zeitschriften, sah ich gerahmte Fotografien der Royal Family, und zwar nicht der belgischen. Unter ihrem Künstlerkittel trug Yvonne außerdem Tweed, und sie beherrschte sich mustergültig, ganz wie eine Angehörige der britischen Oberschicht. Ihre Miene war stolz, fast hochmütig. Ihre feinen Augenbrauen gingen ironisch in die Höhe, während sie ihren dunkelblauen Blick von mir zu Felix schweifen ließ. Sie saß in ihrem grüngoldenen Ohrensessel, hatte die Arme vor der Brust verschränkt; ihr ungeschminktes Gesicht besaß ein verhaltenes Charisma, das mehr von Innen als von Außen kam.
Da fasste ich mir ein Herz und sprach einige Worte in meinem schönsten, perfektestem Oxford-Englisch, das ich zum Glück aus dem Effeff beherrschte. Ich hatte auch Ahnung von den britischen Umgangsformen und wandte sie konsequent an.
Die Wirkung war erstaunlich! Der Eisklotz Yvonne Maertens taute binnen Sekunden auf – sie strahlte mich an, wodurch sie fünfzehn bis zwanzig Jahre jünger wirkte.
Das genoss ich fast ebenso sehr wie Felix’ bewundernde Blicke; ich hatte richtig getippt, genau das war es, woran das Herz von Madame Maertens hing. England liebte sie und alles, was damit zusammenhing. Nicht lange, und sie fing munter an zu erzählen, ausführlichst, wann immer wir ihr ein Stichwort hinwarfen. Nicht zuletzt vermochte nun auch Felix der Unterhaltung problemlos zu folgen; wie alle Unternehmensberater konnte er Englisch, und zwar fließend. Französisch war einfach nicht seine Welt.
»Ja, ich habe schon immer ein Faible für Großbritannien gehabt«, lächelte Yvonne, »schon
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