Fessle mich!
Schwäche fürs Dramatische, dachte Leo und schmunzelte, zufrieden, weil er schon wieder einen Teil ihrer Persönlichkeit entschlüsselt hatte. Wohlweislich ging er nicht um die Theke herum, sondern blieb in sicherer Entfernung vom Schneidebrett stehen.
“Jeder zahlt für seine eigenen Lebensmittel, aber die sind dann Allgemeingut, ja?”, fragte er spitz.
“Was deins ist, ist auch meins, aber meins bleibt meins.” Macy unterstrich ihre Worte mit schwungvollen Messerhieben.
“Ungefähr so hatte ich es mir auch vorgestellt.”
“Dann verstehen wir uns! Ich dachte mir schon, dass du von ganz alleine draufkommst, wo du doch ein wirklich cleverer Anwalt bist.”
“Möchtest du gleich darüber sprechen?”
Macy hackte unverdrossen auf die Melone ein. “Worüber denn? Über meinen Geisteszustand etwa?” Sie hatte mehr zu sich selbst gesprochen, und Leo war sich nicht sicher, ob sie eine Antwort erwartete.
“Wenn du es wünschst, gerne”, meinte er nach kurzem Zögern. “Ich dachte eher an die Frage, wie wir die Ausgaben aufteilen, solange ich bei dir wohne.”
“Oh! Nun, es wird nichts zu teilen geben. Ich habe meine Meinung nämlich geändert. Du kannst nicht bleiben.”
“Tut mir leid, Macy, aber dafür ist es jetzt zu spät. Das Gesetz steht in den meisten Fällen auf der Seite des Besitzers.” Da Macy ihn fragend ansah, fügte er hinzu: “Du hast dir meine Melone angeeignet, ich habe Laurens Zimmer in Besitz genommen. Keiner kann mehr zurück.”
“Komisches Gesetz”, brummte Macy nachdenklich. “Wo steht so was denn geschrieben?”
“Paragraph eins, Gesetzbuch Leo Redding.”
Sie grübelte eine Weile über diese Antwort nach, dann konterte sie mit einer Gegenfrage: “Worin besteht der Unterschied zwischen einem Anwalt und einem Wels?”
“Der eine lebt in den finstersten Abgründen und ernährt sich von Abschaum, der andere ist ein Fisch.”
Ein großes Stück Wassermelone landete mit einem lauten Blubb im Ausguss, und Macy murmelte erbost: “Ich krieg dich schon noch, wart’s nur ab.”
“Keine Chance”, entgegnete Leo. “Ich weiß auf alles eine Antwort.”
“Das wollen wir doch mal sehen.”
“Was genau willst du denn wissen? Geht’s mal wieder um die Schnitzeljagd? Nur zu, eine Frage hast du bei mir gut.”
Wumm! Mit einem hässlichen Geräusch bohrte sich die scharfe Spitze des Messers in das Schneidebrett aus Kunststoff. Gebannt starrte Leo auf Macys kleine Hand, die den Griff des Messers immer noch fest umklammerte. “Art, Rasse und Name deines ersten Haustiers!”
“Hund, irischer Setter, Bandit.”
“Hätt ich mir denken können! Typisch Junge.”
“Was hattest du denn erwartet? Ich war ein Junge.”
“Das zu glauben, mein Lieber, fällt mir entsetzlich schwer. Du machst auf mich den Eindruck, als ob du schon sehr lange erwachsen wärst.”
Betroffen sah Leo an sich hinunter. Weißes Hemd mit Oxfordkragen, dunkelblaue Hose mit unauffälligem Gürtel, schwarze Halbschuhe aus, zugegeben, Kroko-Imitat. “Nun ja, zehn Jahre sind es bestimmt schon, das will ich nicht leugnen.”
“Das meine ich doch gar nicht. Du siehst so aus, nein, du benimmst dich so, als wärst du bereits im Bossanzug zur Welt gekommen.”
Leo stellte sich das bildlich vor und musste schmunzeln. Plötzlich stutzte er. Seit Neuestem schien er sich ständig über irgendetwas zu amüsieren. Seltsam! Er beschloss, sich in Zukunft genau zu beobachten. Ernüchtert lehnte er sich an die Theke und sah zu, wie Macy die Melonen zerkleinerte. Ein Obstsalat für das Abendessen, vermutete er. Da sie alles bestens im Griff hatte, sah er keine Notwendigkeit, ihr seine Unterstützung anzubieten. Stattdessen beobachtete er sie.
Sie arbeitete zügig und konzentriert. Gelegentlich runzelte sie leicht die Stirn oder biss sich auf die Unterlippe. Ihre ganze Haltung drückte eine ungezügelte Energie und Zielstrebigkeit aus, dennoch ging sie mit einer geradezu kindlichen Umsicht ans Werk, die Leo ganz hinreißend fand.
Wieder stutzte er. Leo Redding hingerissen? Sein Verhalten wurde immer absonderlicher. Angefangen hatte es damit, dass er sich tatsächlich von Macys vermeintlich naivem Charme hatte ködern lassen. Das verhieß nichts Gutes. Vielleicht wäre er gut beraten, die eigenartige Veränderung seiner Persönlichkeit ernst zu nehmen. Am Ende könnte er noch in echte Schwierigkeiten geraten.
Jetzt fügte Macy die Wassermelonenwürfel zu der Honigmelone in die große Keramikschüssel und holte
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