Fessle mich!
Fälle sind solche Ängste unbegründet. Wahrscheinlich ist, dass der Betreffende schlichtweg eine neue sexuelle Seite bei sich entdeckt hat, einerseits fasziniert davon ist, sich andererseits aber erst einmal damit auseinandersetzen und lernen muss, sie in seine Persönlichkeit zu integrieren. Dieser Vorgang lenkt viel Aufmerksamkeit und mentale Energie auf sich. Schon wenn jemand ein neues Hobby entdeckt, das ihn urplötzlich begeistert, kommt es häufig vor, dass er über nichts anderes mehr quatscht, sich tonnenweise Fachzeitschriften und Bücher zu Gemüte führt und so lange völlig darin aufgeht, bis ein gewisser Punkt der Übersättigung erreicht ist und sich alles wieder auf einem normalen Pegel einpendelt. Neue sexuelle Welten, die einerseits nicht so leicht zugänglich sind, andererseits aber bedeutsam für das eigene Selbstbild, fordern noch einmal mehr. Als ich mein Faible für erotische Rollenspiele entdeckt hatte, gab es längere Zeit außer dem Studium kaum ein anderes Thema mehr für mich: Ich wühlte mich durch etliche Bücher, bestellte ganze Jahrgänge von Zeitschriften nach, schrieb Artikel in unserer Fachschaftszeitschrift und während des Examens 45 SM-Kurzgeschichten zur Entspannung, bastelte eine entsprechende Website und schockierte meine Freunde immer wieder mal mit Berichten von eigentümlichen Erlebnissen. Dann ließ das alles wieder spürbar nach und wurde in meine berufliche Tätigkeit integriert. Dieselbe Begeisterung konnte ich Jahre später wieder für ganz andere Themen aufbringen. Geschadet hat mir all das nicht. Ich glaube auch nicht an die beliebte These, dass man, sobald man neue sexuelle Spielarten ausprobiert und daran Gefallen gefunden hat, einen immer größeren Kick benötigt, um überhaupt in Wallung zu geraten. Für wenige Leute mag das zutreffen, für die meisten nicht.
Andererseits darf man aber nicht so tun, als ob es zerstörerische Beziehungen in diesem Bereich nicht auch gibt: Beziehungen, die weniger von selbstbestimmter, freiwilliger Versklavung, sondern von Hörigkeit und nicht-einvernehmlicher Gewalt geprägt sind. Es kommt auch vor, dass Frauen oder Männer in ihrer Kindheit, Jugend oder danach Erfahrungen gemacht haben, bei denen sie einem brutalen Menschen ausgeliefert waren, und dass sie später in freiwilliger Unterwerfung versuchen, diese Erlebnisse zu verarbeiten – was manchmal katastrophal schiefgehen kann. Mitglieder der SM-Szene äußern sich öffentlich nicht gerade mit großer Begeisterung über Fälle, bei denen es zu solchen bedenklichen Entwicklungen kommt. Das liegt einfach daran, dass sowohl die Boulevardpresse als auch die radikale Frauenbewegung sehr nachdrücklich ein Weltbild verbreiten, in dem SM-Beziehungen grundsätzlich Folgen oder Ursache für psychische Traumata sind, und dass man nicht noch Öl ins Feuer dieser Anti-Aufklärung gießen möchte.
Ich selbst bin vor einiger Zeit einmal von einer Frau um Rat gebeten worden, bei der mehrere Anzeichen stark dafür sprachen, dass ernsthafter Anlass zur Sorge bestand: Ihr neuer Partner belog sie in wichtigen Angelegenheiten (er war zum Beispiel noch verheiratet statt geschieden), forderte Geld von ihr und richtete sie mindestens einmal dermaßen zu, dass sie ein guter Freund mitten in der Nacht zur Notaufnahme bringen musste. Dazu kam, dass sie alleinerziehende Mutter und also nicht nur für sich selbst verantwortlich war. Gleichzeitig fand sie bei ihrem neuen Partner eine sexuelle Erfüllung, die sie nirgendwo sonst erlebt hatte, und war hin- und hergerissen zwischen ihrem Begehren und ihrer Klarheit darüber, dass dies keine gesunde Beziehung war. So sehr es mir auch widerstrebt, anderen Leuten zu sagen, wie sie ihr Leben zu führen haben, konnte ich in meinem Gespräch mit dieser Frau ihre Wahrnehmung nur bestätigen, dass hier einiges im Argen lag. Etwas später erfuhr ich per Zufall, dass meine Gesprächspartnerin auch andere Leute aus der Szene um ihre Meinung gebeten und von diesen noch wesentlich deutlicher den Ratschlag erhalten hatte, sich von ihrem alles andere als vertrauenswürdigen Partner zu trennen. Zu diesem Schritt schien sie aber nicht bereit oder in der Lage zu sein. Das Letzte, was ich Monate später von ihr gehört hatte, war, dass sie noch immer mit diesem Mann zusammenlebte.
Wenn sich ein Partner dem anderen unterwirft, geht das häufig ohne Probleme gut. Es kann aber auch in solchen Beziehungen immer vorkommen, dass ein Partner den anderen missbraucht. An
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