Fest der Herzen: Geständnis unterm Weihnachtsbaum / Schicksalstage - Liebesnächte
genauso wie mir. Davon war ich wirklich überzeugt.“
Auch wenn Brad nicht darüber redete, vermutete Olivia, dass er mehr über ihre Mutter wusste, als er stets behauptete. Wenn es ihm darum ging, dass Ashley und die anderen keine schlafenden Hunde wecken sollten, dann hatte er dafür sehr wahrscheinlich auch einen guten Grund – auch wenn er kein Recht hatte, darüber als Einziger zu entscheiden.
„Mir fehlt eine Mutter, Ash“, entgegnete Olivia schließlich. „Das ist etwas anderes, als zu sagen, mir würde Mom fehlen. Sie hat uns verlassen, oder hast du das vergessen?“
Wie sollte Ashley es vergessen, wenn sie überhaupt keine Erinnerung an diese Zeit hatte. Sie war noch fast ein Säugling gewesen, als ihre Mutter sich eines Nachmittags in den Überlandbus gesetzt hatte und aus Stone Creek verschwunden war. Ashley klammerte sich an Erinnerungen, die sie sich eigentlich nur einreden konnte. Erinnerungen an eine Mutter, wie sie hätte sein sollen, die sie aber nie war.
„Ich will den Grund dafür erfahren“, beharrte Ashley. Ihre Augen waren von Schmerz erfüllt. „Vielleicht bereut sie es ja. Hast du daran schon mal gedacht? Vielleicht fehlen wir ihr, und sie wünscht sich eine zweite Chance. Vielleicht denkt sie, wir wollen von ihr nichts wissen, und deshalb hat sie Angst davor, sich bei uns zu melden.“
„Oh, Ash.“ Olivia ließ sich frustriert gegen die Rückenlehne sinken. „Du hast schon mit ihr Kontakt aufgenommen, stimmt’s?“
„Nein“, widersprach sie und strich ein blondes Haarbüschel hinter ihr rechtes Ohr. „Aber wenn ich sie finde, werde ich sie zu Weihnachten nach Stone Creek einladen. Wenn du, Brad und Melissa nichts mit ihr zu tun haben wollt, ist das eure Sache.“
Olivias Hand zitterte leicht, als sie die Teetasse absetzte. „Ashley, es ist dein gutes Recht, dich mit Mom zu treffen, wenn du das willst“, sagte sie behutsam. „Aber ausgerechnet an Weihnachten …?“
„Was hast du denn schon mit Weihnachten zu schaffen?“, konterte ihre Schwester aufgebracht. „Du stellst ja meistens nicht mal einen Baum auf.“
„Du, Melissa und Brad, ihr drei seid mir wichtig. Wenn du Mom ausfindig machen kannst, okay, toll. Aber findest du nicht, sie an Weihnachten herzubringen, ausgerechnet an dem Tag, der mit mehr Emotionen überfrachtet ist als jeder andere Tag des Jahres, ohne vorher mit uns allen zu reden … findest du nicht, das ist ungefähr genauso riskant, als würde man eine scharfe Handgranate in einem Truthahn verstecken?“
Ashley erwiderte darauf nichts, und ab diesem Zeitpunkt wardie weitere Unterhaltung etwas verkrampft. Sie redeten darüber, wer was zum Thanksgiving-Essen bei Brad und Meg mitbringen sollte, und einigten sich darauf, dass sich Ashley um frisch gebackene Brötchen kümmerte, während Olivia eine Auswahl an fertigen Salaten aus dem Lokal in der Stadt holte. Danach machte sich Olivia wieder auf den Weg.
Als sie im Wagen saß und den Motor anließ, um zur ersten Farm auf ihrer Liste zu fahren, fragte sich Olivia, wieso sie eigentlich so besorgt war. Falls Delia noch lebte, hatte sie ganze Arbeit geleistet, all die Jahre über unentdeckt zu bleiben. Sie hatte ihnen nie geschrieben, sie nie angerufen. Nicht einmal war für einen von ihnen eine Geburtstagskarte von Mom in der Post gewesen. Falls sie tot war, würde jeder von ihnen auf seine ganz eigene Weise um sie trauern müssen.
Dafür fühlte sich Olivia noch nicht bereit.
Früher hatte der Gedanke an Delia sie mit Trauer und kindlicher Sehnsucht erfüllt. Der Rhythmus ihres Herzschlags hatte aus Komm zurück, komm zurück bestanden.
Mittlerweile dagegen kam in ihr nur noch große Wut auf, wenn sie an Mom dachte. Wie konnte eine Frau einfach vier Kinder und einen Ehemann im Stich lassen und sich niemals wieder um sie kümmern?
Sie ballte die Faust und schlug einmal von der Seite gegen das Lenkrad. Tränen stiegen ihr in die Augen, ihre Kehle war wie zugeschnürt.
Ashley erwartete ein Wiedersehen wie in einem Märchen oder wie in einer Folge von Oprah , voller tränenreicher Geständnisse und geschluchzter Entschuldigungen.
Olivia rechnete dagegen eher mit etwas, das einer Apokalypse gleichkam.
Die Sonne strebte bereits dem Horizont entgegen, als Tanner den alten Pick-up über die Zufahrt zu seiner Ranch poltern hörte. Lächelnd schlug er die Zeitung zu, stand vom Küchentisch auf und schlenderte zum Fenster. Er sah zu, wie Olivia O’Ballivanihren Suburban abstellte, das Ranchhaus mit
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