Fest der Herzen: Geständnis unterm Weihnachtsbaum / Schicksalstage - Liebesnächte
tief durch, dann drückte sie die Tür auf und betrat den Raum. Jeder hatte in seinem Leben irgendeinen Drachen, den es zu besiegen galt. Hier wartete ihr Drache auf sie.
Delia wirkte viel zu schmächtig und zu schwach, um so viel Ärger und Leid verursachen zu können. Sie saß zusammengekauert in einem Sessel neben einem Tisch, auf dem ein nur mit Papiergirlanden verzierter Weihnachtsbaum stand. Sie sah Olivia nur flüchtig an, dann wandte sie den Blick auch schon wieder ab.
Langsam ging Olivia auf sie zu und berührte ihre schmale Schulter, woraufhin die Frau zurückzuckte. Zwar sagte sie kein Wort, doch der Ausdruck in ihren Augen verriet nur zu deutlich die Botschaft: Lass mich in Ruhe .
„Ich bin es, Mom“, sagte sie behutsam. „Olivia.“
Delia starrte sie nur an und schien mit dem Namen nichts anfangen zu können.
Olivia hockte sich neben dem Sessel hin. „Vermutlich werde ich nie erfahren, warum du uns verlassen hast“, sprach sie leise. „Aber vielleicht ist das jetzt auch nicht mehr so wichtig. Aus uns allen ist was geworden.“
Die mit leerem Blick dreinschauenden Augen ihrer Mutter waren von einem blassen Blau, das an eine verschossene Jeans oder an einen zaghaften Frühlingshimmel erinnerte. Langsam, fast unmerklich nickte sie.
Tränen brannten in Olivias Augen. „Ich bin verliebt, Mom. Sein Name ist Tanner. Tanner Quinn, er hat eine zwölfjährige Tochter. Sie heißt Sophie. Ich … ich möchte für Sophie eine gute Stiefmutter sein, und ich schätze, aus irgendeinem Grund musste ich dich besuchen, um zu erkennen, dass ich das sein kann. Dass ich tatsächlich eine Ehefrau und Mutter sein kann …“
Delia sagte nichts. Sie weinte nicht, sie nahm ihre Tochter nicht in die Arme, sie bat nicht um eine zweite Chance. Kurzgesagt: Es gab kein Wunder. Und doch hatte Olivia das Gefühl, dass sich ein Wunder ereignet hatte.
„Jedenfalls habe ich vor, dich so oft zu besuchen, wie ich kann.“ Sie richtete sich auf und öffnete ihre Handtasche, dann holte sie ein kleines Päckchen heraus. Es war eine Blumenzwiebel in einem vorbereiteten Topf, die garantiert blühen würde, sogar im tiefsten Winter. Eigentlich hatte sie Parfüm mitbringen wollen, weil sie sich daran erinnern konnte, dass Delia immer so wunderbar duftete – aber das stand auf der Liste der verbotenen Mitbringsel, weil es Alkohol enthielt. „Frohe Weihnachten, Mom.“
Ich bin nicht du .
Sie legte Delia das Päckchen in den Schoß, küsste sie auf die Stirn und ging nach draußen.
Im Erdgeschoss wurde sie von Tanner in Empfang genommen, der sie umarmte und ihr einen Kuss auf die Schläfe gab. „Alles in Ordnung, Doc?“
„Mehr als nur in Ordnung“, antwortete sie lächelnd. „Oh, sogar viel, viel mehr als nur in Ordnung.“
Genau um sechs Uhr schloss Kris Kringle offiziell seinen Weihnachtsbaumstand. Er hatte jeden seiner Bäume verkaufen können, sodass nur Nadeln und ein paar Zweige übrig blieben. Die Plastikrentiere und der Teilzeit-Weihnachtsmann waren längst weg, nur der Schlitten stand noch dort.
Er drehte den Kopf nach rechts und links und betrachtete die menschenleere Straße.
Die Leute waren um diese Zeit in ihren wohlig warmen Häusern oder in der Kirche, wie es sich für Heiligabend gehörte. Als er sich sicher war, dass niemand ihn beobachtete, pfiff er leise, woraufhin die Rentiere zu ihm kamen und ihren Platz vor dem Schlitten einnahmen. Während sie darauf warteten, dass ihnen das Geschirr angelegt wurde, fragte er sich, wo Rodney war.
Hinter ihm auf dem Asphalt war auf einmal das leise Trappeln kleiner Hufe zu hören. Er drehte sich um und sah Rodney,der aus Dunkelheit und Schneegestöber zum Vorschein kam, bereit für seinen ersten Flug. Der Esel war als Notlösung ein guter Ersatz gewesen, aber er würde ihm ab jetzt keine Dienste mehr leisten können – schließlich wusste jeder, dass Esel nicht fliegen konnten.
„Bereit?“, fragte er, beugte sich vor und streichelte Rodney über den silbrigen Rücken, dann legte er ihm mit jahrelanger Übung sein Geschirr an und griff nach den Zügeln. Sie würden zu Hause einen Zwischenstopp einlegen müssen, damit er sich reisefertig anziehen und natürlich den ersten Beutel mit Geschenken mitnehmen konnte.
Als Erstes würde er bei Olivia O’Ballivans Haus anhalten. Sie war so nett zu diesem kleinen, krummen und schiefen Baum gewesen, aber er wusste jetzt schon, dass der Baum auf dem Gelände des neuen Tierheims wachsen und gedeihen würde, und nächstes
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