Fetjaine, Jean-Louis - Die Elfen 02
hängen, der ihm auf den Fersen folgte und, geblendet von dem eigentlich spärlichen Licht im Wachraum, blinzelte.
Gorlois wischte sich mit seinem Mantel das Gesicht, den Oberkörper und die Hände ab, dann hakte er ihn auf und warf ihn in die Zelle hinein.
»Schließt wieder ab!«, befahl er.
Die Fäuste in die Hüften gestemmt, trat er ein oder zwei Schritte zurück und betrachtete mit einem leicht spöttischen Lächeln den zerlumpten, von Unflat bedeckten Hünen mit seinem von Ungeziefer wimmelnden Bart und dem lehmverschmierten blonden Haar.
»Schafft ihn ins Badehaus, kleidet ihn an, und bringt ihn heute Nachmittag zu mir zurück, wenn er wieder aussieht wie ein Mensch.«
Der Mann sah flüchtig auf, warf einen raschen Blick zu der Wendeltreppe, die zu den oberen Etagen führte, und senkte erneut den Kopf.
»Ich sehe, dass du vernünftig bist«, bemerkte Gorlois. »Dein Name?«
»Oswulf, Herr.«
»Ein Barbar ... Das hätte ich mir ja denken können. Dieb oder Mörder?«
Der Hüne warf erneut einen kurzen, besorgten Blick zu seinem Retter hinüber.
»Verehrter Herr, ich ...«
»Dieb oder Mörder? Antworte!«
»Dieb ...«
Gorlois wandte sich mit einer scherzhaften Geste an die Ritter seiner Eskorte.
»Nun denn, das sollte doch wohl genügen, oder? Führt ihn ab!«
Auf ein Kopfnicken hin stießen die Recken den Barbaren vorwärts und verschwanden kurz darauf die steinerne Treppe hinauf. Gorlois verharrte einen Moment reglos und lauschte auf das schwächer werdende Geräusch ihrer Schritte; dann schloss er endlich die Augen und presste sich die Fäuste in die Rippen, dabei gab er ein Schmerzstöhnen von sich, das unter dem hohen, rauchverhangenen Gewölbe widerhallte.
X
Die Vermählung
Von den äußeren Festungsmauern bis zu den Türmen des königlichen Bergfrieds und der kleinsten baufälligen Hütte der Unterstadt hin war in Loth in den neuen Farben des Königshauses geflaggt lange, weiße Oriflammen, die mit einem roten Kreuz versehen waren. Die Reichsten hatten Tapisserien an ihren Fassaden aufgespannt, die anderen Bettücher, und all die zahlreichen Stoffe warfen strahlende Glanzlichter auf die Straßen und verhüllten zudem die Spuren des Brandes, der die Stadt einige Monate zuvor verwüstet hatte.
Heute war das bereits längst vergangene Geschichte. Die Straßen waren erfüllt von Geschrei und Gelächter, und man hätte meinen könne, dass die ganze Stadt betrunken sei. Auf jedem Platz oder Vorplatz hatten die Wirte Bier-, Metoder Weinfässer angezapft und verkauften die Pinte zu einem Denier, was so gut wie geschenkt war. Dazu war die Luft in den engen, von Menschen wimmelnden Gassen bei der sengenden Hitze reichlich trocken und schürte den Durst. Und doch hatte sich Loth deutlich verändert. Der ehemalige Sitz des Großen Rates, wo einst die Völker sämtlicher Rassen miteinander verkehrten, war eine Stadt der Menschen geworden. Oh, natürlich gab es da und dort noch Gruppen von Gnomen, die auf Gott weiß welchem Wege von dem Ereignis erfahren hatten und den Passanten ihren haarsträubenden Plunder feilboten, direkt von ihren Handkarren herunter. Zuweilen begegnete man auch einem Zwerg, der am Stand eines Händlers für die schweren Arbeiten angestellt war oder ein Pony am Zügel zur Tränke führte, aber das waren nur noch Leibeigene. Mit Lumpen bekleidete Sklaven, des Schmucks und der samtenen Gewänder beraubt, mit denen sie sich einst, vor dem Kriege, herausgeputzt hatten, und der Großteil der Menschen wandte die Augen ab, wenn sie vorübergingen, als sei ihnen der Anblick eines Zwerges peinlich geworden. Und vor allem gab es keinen Elf mehr in der ganzen Menge.
Eine bleierne Hitze hatte sich von den ersten Morgenstunden an über die Stadt gesenkt. Die Gitter aus Weidenruten und die Fensterverkleidungen aus Leinen oder Ölpapier an den Strohlehmhütten waren sämtlich hochgeklappt, die Türen standen sperrangelweit offen, damit ein wenig Luft hereinkommen konnte, und, da die meisten Männer unterwegs waren, hatten die Frauen oder die Diener ein Auge auf die Hausgemeinschaft. Die Klatschweiber plärrten sich von einem Ende der kleinen Gassen zum anderen die jüngsten Neuigkeiten zu und trugen mit ihrem schrillen Geschrei noch zu der allgemeinen Kakophonie bei; aber wehe dem Leichtsinnigen, der die Gunst der Stunde zu nutzen suchte, um unbemerkt in ihr Elendsquartier zu schlüpfen! Im Übrigen machten sich die Diebe diesbezüglich keine Illusionen und hatten
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