Fettnaepfchenfuehrer Frankreich
gefehlt, der schwerfällige Riese mit dem deutschen Nummerschild wurde rechts und links überholt, sodass Manni zum Stehen kam. Doch Manni ließ sich nicht klein kriegen, er griff an und fuhr einfach wieder los, egal ob er jemanden rammte, Augen zu und durch. Und siehe da – es funktionierte, er hatte das Nadelöhr hinter sich gelassen.
Die Straße führte jetzt hinauf auf eine schnell und dicht befahrene Ringautobahn, herrje, Manni erkannte sofort sein Problem: Wie sollte er hier jemals auffahren? Die fuhren bestimmt 80 Stundenkilometer, wie sollte er denn mit seinem Bus so schnell aus dem Stand beschleunigen, ohne einen Totalschaden zu verursachen? Er konnte höchstens warten, bis ein paar Autos den rechten Fahrstreifen für ihn freimachten – oder bis es dunkel wurde und der Verkehr nachgelassen hatte, bis heute Nacht also?! Auf Mannis Stirn machte sich kalter Schweiß breit. Hinter ihm begannen die Fahrer unbarmherzig zu hupen. Manni umklammerte mit beiden Händen das Lenkrad, er hatte nur eine Chance. »Du schaffst das!«, ermutigte ihn Eva und schloss die Augen. Manni gab Vollgas, das Auto stöhnte, auch Anton wachte jetzt auf, Manni riss das Lenkrad herum und sah, wie hinter ihm ein paar Autos noch in letzter Sekunde die Fahrbahn wechselten, um dem Koloss auszuweichen. Manni warf den links vorbeirasenden Autos samt Insassen feindselige Blicke zu. Doch keiner reagierte. Kein Hupen, kein Vogelzeigen, alles schien ganz normal. Manni atmete tief durch, das wäre also geschafft! Eva wollte ihn fast umarmen, manchmal war sie wirklich stolz auf ihn. »Wow«, sagte Anton halb verschlafen. »Da ist meine Konsole ja echter Dreck gegen. Hier würde ich auch gern mal fahren.« »Aber nicht mit meinem Auto«, sagte Manni trocken, ihm floss der Schweiß den Nacken hinunter. Es gab keine Standspur, man konnte nicht ausweichen, nur aufs Gaspedal drücken. »Und jetzt?« Eva vertiefte sich wieder in die Wegbeschreibung und stieß einen spitzen Schrei aus. »Wir sind richtig! Die innere Straßenseite führt uns zur Porte d’Orléans!« »Das wäre ja jetzt auch noch schöner«, entgegnete Manni, »hier wieder runter und auf der anderen Seite wieder rauf? Nee!«
Eva lehnte sich zurück, doch an Entspannung war nicht zu denken. Manni, der jetzt die mittlere Fahrbahn erobert hatte, wurde von allen Seiten überholt. Ein Rennauto zog rechts an ihm vorbei, ein Motorradfahrer, den er gar nicht gesehen hatte, streifte ihn links. Manni hupte wie ein Verrückter, doch das Motorrad war schon längst über alle Berge. Manni konzentrierte sich auf die Rückspiegel, ein Auto klebte fast an seiner Stoßstange, Manni konnte es kaum noch sehen, so dicht war es schon aufgerückt. »Krass«, rief Anton begeistert vom Rücksitz, und in diesem Augenblick wurde er auch schon fast durch die Windschutzscheibe geschleudert: Manni musste eine Vollbremsung machen. Während er auf die Bremse trat, schloss er die Augen. Er war sich sicher, dass der Urlaub an dieser Stelle beendet wäre und der Hintermann mit seinen Vorderreifen in der Einbauküche des Wohnwagens klebte. Doch der erwartete Knall blieb aus. Es war plötzlich überraschend leise: Stau. Der Verkehr war ganz plötzlich und ohne ersichtlichen Grund zum Erliegen gekommen. Über ihnen leuchtete ein elektronisches Schild auf: »Porte d’Orléans 60 Minuten«. Jetzt konnte Manni endlich verschnaufen. Noch nie hatte er sich so über einen Stau gefreut. »Gib mir mal ’nen Schluck Wasser, bitte.« Eva reichte ihm die geöffnete Flasche und lächelte ihn zärtlich an, ihren Helden.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Manche Leute behaupten, dass man an Fahrstil und Gesamtbild des Straßenverkehrs das wahre Gesicht einer Gesellschaft ablesen könne. Wenn dem so ist, dann ist Frankreich in seinem tiefsten Inneren anarchistisch – das Verhalten der Autofahrer in Paris ist es auf jeden Fall. Ein jeder fährt, wie es ihm gerade beliebt, die eigenen Bedürfnisse stehen dabei im Vordergrund. Die Engländer behaupten, die Franzosen seien die schlimmsten Autofahrer der Welt. Mag sein, dass es so erscheint, denn man hält sich in Frankreich nicht so stur an dieVerkehrsregeln, sondern reagiert spontaner. Als Autofahrer muss man stets flexibel und wach bleiben: Plötzlich drängt sich einer von links frech vor einen in die Spur, von rechts wird man hupend überholt und das, obwohl fünf Meter weiter sowieso der gesamte Verkehr zum Erliegen kommt, da die Straßen »wegen Überfüllung geschlossen« sind. Die
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