Fettnaepfchenfuehrer Frankreich
nach ihrem TGV, dem train à grande vitesse , dem französischen »Zug mit großer Geschwindigkeit«. Dabei fuhr er doch schon in einer Viertelstunde! Paula fragte einen gut aussehenden jungen Mann nach dem Paris-Zug. » Ah, vous avez le temps. Dans vingt-cinq minutes. C’est pour ça qu’il n’est pas encore indiqué. « (Ach, Sie haben noch fünfundzwanzig Minuten Zeit. Deshalb ist er auch noch nicht angeschlagen.) Paula wunderte sich, war aber auch erleichtert, bedankte sich und kaufte sich gleich noch eine Flasche Wasser und ihre neue Lieblingszeitschrift. Eigentlich mochte sie Frauenzeitschriften gar nicht so, aber in Frankreich war sie total scharf darauf und fast süchtig danach, von einer Mode-Verzückung zur nächsten zu blättern. Als sie das nächste Mal auf die Tafel schaute, war ihr TGV tatsächlich angeschrieben und sie marschierte direkt zum Gleis. Das Ticket hatte sie sich schon vorab besorgt, sodass sie jetzt nur noch ihren Platz finden musste. Der Zug war rappelvoll, halb Frankreich schien aus dem Urlaub zu kommen und nach Paris zurückzuwollen. Paula quetschte sich durch die Massen, fand ihren Sitzplatz und ließ sich endlich richtig fallen. Jetzt gab es nur noch sie und die Zeitschrift. Von mir aus können wir auch zehn Stunden fahren, dachte Paula entspannt und fühlte sich plötzlich ganz schön erwachsen. Das Leben hatte noch viel zu bieten und sie war gerade erst am Anfang. Der TGV rollte sanft aus Rennes heraus, um sie herum vertrautes Stimmengewirr und plötzlich versank Paula in einen süßen Halbschlaf.
» Mademoiselle! S’il vous plaît! « (Fräulein! Darf ich bitten?), schnitt es mit einem Mal scharf durch ihren Traum. Gerade hatte sie ein junger Bretone auf einer stürmischen Klippe vor dem tobenden Meer retten wollen. Aber das hartnäckige Rütteln an ihrer Schulter gehörte woanders hin. Paula schlug die Augen auf und sah in das gerötete Gesicht des Schaffners. » Oui, Monsieur? « Sie war sofort hellwach. » Votre ticket, s’il vous plaît! « (Ihre Fahrkarte, bitte!) Hastig wühlte Paula in ihrer Tasche, fand, was sie suchte, und reichte das längliche Ticket erleichtert weiter. » Voilà! « Wenigstens war sie jetzt wieder wach und konnte sich endlich der Mode widmen. » Le ticket n’a pas été composté «, (Die Fahrkarte wurde nicht entwertet), fuhr der Schaffner Paula entrüstet an. Aber die verstand gar nichts. » Quoi? « » Votre ticket, il faut le composter à la gare. « (Sie müssen Ihre Fahrkarte am Bahnsteig entwerten.) Er hielt Paula das Zugticket vor die Augen und zeigte immer wieder energisch darauf. Paula begriff überhaupt nicht, worum es hier gerade ging. » Mais, ça c’est mon ticket! « (Aber das ist doch meine Fahrkarte!) Sie verwies auf das Datum und die Richtung und alles, was das Ticket eben ausmachte. Der Schaffner wurde immer ungeduldiger, blickte sich hilfesuchend um, aber niemand schien sich für diese Situation zu interessieren. Bis plötzlich eine amerikanische Touristin dazukam und Paula freundlich erklärte, dass sie das Ticket immer noch entwerten müsse, bevor sie in den Zug steige. Das sei so üblich in » la belle France «. Na toll, dachte Paula, das hätte ihr ja auch vorher mal irgendjemand sagen können. » Mais je ne savais pas, Monsieur. Je suis vraiment désolée! « (Das habe ich nicht gewusst, Monsieur. Das tut mir wirklich sehr leid!) Paula versuchte, den Herrn Schaffner mit ein wenig Mitleid zu bezirzen und hoffe inständig, er würde noch ein Auge zudrücken. Und tatsächlich schien er darauf einzugehen, ließ es sich aber nicht nehmen, einen kleinen Vortrag über das französische Ticketsystem, seine Besonderheiten und die Bedeutung des Zugfahrens im Allgemeinen zu halten. Obwohl Paula nicht einmal die Hälfte davon nachvollziehen konnte, nickte und lächelte sie so eifrig, wie sie nur konnte. Mit theatralischer Geste und Mimik entwertete der Schaffner schließlich Paulas Ticket und reichte es ihr fast vorwurfsvoll zurück. » Merci beaucoup, Monsieur «, stammelte sie sichtlich erleichtert und wünschte noch einen angenehmen Tag. Mit einem lauten Seufzer lehnte sie sich wieder zurück, starrte erschöpft in die schnell vorbeiziehende Landschaft und dankte dem Schicksal, dass es so gut zu ihr war. Kurz vor Paris erinnerte sie sich an ihre Zeitschrift und blätterte ein wenig geistesabwesend die Seiten mit der bunten Herbstmode durch.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Bahnfahren ist in Frankreich doch etwas anders als in
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