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Fettnaepfchenfuehrer Frankreich

Fettnaepfchenfuehrer Frankreich

Titel: Fettnaepfchenfuehrer Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Bouju , Johanna Links
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aber gibt es eine Grundregel, die man sich merken sollte, wenn man etwas Zeit dort verbringt, denn sie besagt, dass die Anrede im öffentlichen Bereich sowohl mündlich als auch schriftlich »anonymisiert« bleibt. Es heißt also grundsätzlich nur Madame und Monsieur und das gilt selbst im Zeitalter von E-Mails: Chère Madame/Cher Monsieur wird hier als Anrede benutzt, auch wenn man den Nachnamen seines Gegenübers kennt. Sobald man etwas vertrauter miteinander ist, wird die formale Anrede gegen ein persönliches Du ausgetauscht. Bis dahin aber heißt es: bloß nicht zu nahe treten!
    Was können Sie besser machen?
    Es ist kein Wunder, dass Paula mit dieser Form des frontalen Unterrichtens und des passiven Mitschreibens ihre Mühe hat. Sie ist es nicht gewohnt, dass der Lehrer vorn unentwegt diktiert und die Schüler übereifrig jedes einzelne Wort zu Papier bringen, um es dann stoisch auswendig zu lernen. Eine solche Vorgehensweise wäre im deutschen Schulsystem undenkbar. In Frankreich hingegen herrscht eine gewisse Uniformierung, die sich bis ins Universitätssystem durchzieht. Das commentaire composé ist also aus dem Selbstverständnis der Franzosen ebenso wenig wegzudenken wie Serge Gainsbourg. Und daher hat Paula auch gar keine andere Wahl, als sich in das fremde System hineinzubegeben und es für eine gewisse Zeit mitzuspielen. Auf diese Weise lernt sie den Umgang mit der französischen Sprache bestens und nimmt auch ein paar nützliche Grundregeln für die Textanalyse mit nach Hause. Je schneller sie den negativen Schock konstruktiv umsetzt, desto besser für ihr Sprachverständnis und das Verständnis der französischen Kultur.

    Das Schul- undBildungssystem
    Das heutige Bildungswesen in Frankreich gründet sich auf Gesetze, die von 1881 bis 1886 durch den Unterrichtsminister Jules Ferry erlassen wurden. Sie legten vor allem den unentgeltlichen Pflichtbesuch öffentlicher Schulen fest (heute: bis zum 16. Lebensjahr).
    Da das Bildungssystem in Frankreich zentralistisch organisiert ist, sehen die Lehrpläne im gesamten Land die gleichen Inhalte vor. Es gilt, eine gewaltige Menge an Stoff zu verarbeiten, dessen Beherrschung regelmäßig in Form von schriftlichen Kontrollen überprüft wird. (Das erklärt den Frontalunterricht.) Im Gegensatz zu unserem Schulsystem liegt der Schwerpunkt in Frankreich auf der Auslese und der Ausbildung von Eliten. Viele Eltern fördern dieses System, indem sie ihren Kindern von klein auf antrainieren, wie wichtig gute Leistungen sind. Grundsätzlich teilen viele von ihnen die Auffassung, dass die Schule zu wichtig sei, um als Terrain für künstlerische Freiheiten »missbraucht« zu werden.
    Das französische Bildungssystem ist in drei Bereiche gegliedert: Elementarstufe, Sekundarstufe und Hochschule. Die Elementarstufe beinhaltet die Vorschule ( Ecole maternelle ), die die Kinder in der Regel ab einem Alter von zwei Jahren be

29. Der Charme der Bourgeoisie
    Warum Paula sich wie ein Mensch zweiter Klasse fühlt
    » Non, merci, Madame « (Nein danke, Madame), » Oui, bien sûr, Madame « (Aber natürlich, Madame), » Volontiers, Madame « (Gerne, Madame), » Comme vous voulez, Madame « (Wie Sie wünschen, Madame) – Paula kam das langsam zu den Ohren heraus. Immer freundlich lächeln, der Dame des Hauses nicht widersprechen, sich in allen Bereichen anpassen und Höflichkeit auf allen Gebieten walten lassen, zum Einkaufen geschickt werden, nicht nach 22 Uhr nach Hause kommen ... Jeden Tag fragte man sie nach den Hausaufgaben und überhaupt behandelte man sie wie ein kleines Kind, fand Paula. Nicht selten sagte Claudine: »Nein, das braucht Paula nicht« oder »Paula sollte da nicht hingehen«, und sie selbst wurde gar nicht gefragt.
    Heute saßen die Bouchards wieder einmal beim Abendessen und Madame fragte ganz höflich und freundlich: » Et Paula, ça a été à l’école? « (Und, Paula, wie war es heute in der Schule?) Paula überlegte kurz und antwortete diesmal nicht mit dem üblichen Oui, très bien (Ja, sehr gut), sondern sagte stattdessen: » Pas vraiment. « (Nicht so doll.) Alle Augen richteten sich auf sie und erwarteten eine Katastrophe. » Ces cours monotones m’enervent. Il faut toujours tout noter. Je n’ai vraiment pas l’habitude et ça me fait chier qu’on ne peut pas discuter en classe! « (Dieser monotone Unterricht nervt total. Man muss immer alles mitschreiben. Das bin ich wirklich nicht gewohnt und es kotzt mich an, dass man nicht diskutieren kann!)

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