Fettnaepfchenfuehrer Frankreich
gefüttert. Die kleine Clémentine wurde immer stiller und blasser. Ihr Bruder Sébastien ließ sich nichts anmerken und plapperte munter weiter und weiter. Bis der Vater ihn plötzlich heftig und laut ermahnte. Der Kleine stand ohne ein Wort eingeschüchtert auf und stellte sich in die Ecke des Salons.
» C’est quoi comme jeu? « (Was ist das denn für ein Spiel?), wollte Paula etwas zu neugierig wissen. Neun Köpfe drehten sich gleichzeitig in ihre Richtung. Betretenes Schweigen. Dann übernahm Claudine die Führung und erklärte Paula kurz und sachlich, dass Sébastien jetzt gerade über sein Verhalten nachdenke. » Sinon, il ne comprendra jamais « (Sonst versteht er das nie), beendete sie ihren kleinen Vortrag. Claude und seine Frau waren erleichtert, Paula perplex. Das war also bitterer Ernst, diese Eckennummer! Na, da würden ihre Eltern aber nicht schlecht staunen. Mannomann! Paula bedankte sich für die nette Erklärung und hoffte, das Essen würde die Stimmung wieder etwas heben.
Claude verkündete stolz, es gäbe eine besondere Spezialität, und trug mehrere heiße Schalen herein. » Oh, des escargots! J’adore! «, rief die Großmutter voller Entzücken. Eine niedliche alte Dame, dachte Paula. Schick und eigenwillig, ein bisschen als wäre sie einem Musical entsprungen. Aber als Paula dann die Schale mit den sechs Löchern und den kleinen, verschrumpeltenSchnecken darin vor sich hatte, fand sie die Alte gar nicht mehr so niedlich. Noch nie in ihrem Leben hatte Paula Schnecken gegessen. Warum auch? Es gab doch so viele andere Köstlichkeiten. Jetzt aber hatte sie wohl keine andere Wahl. » Je les ai fait avec ta sauce préférée, Claudine « (Ich habe sie mit deiner Lieblingssoße zubereitet, Claudine), schallte es fröhlich vom anderen Ende des Tischs. » Paula, tu aimes les escargots? « (Paula, magst du Schnecken?), fragte Claudine ein wenig besorgt und zugleich durchaus herausfordernd. Ein echter Franzose musste Schnecken lieben! » Oui, oui «, gab Paula schnell zurück. Und zum Beweis stach sie herzhaft in das erste der sechs glitschigen Weichtiere. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie schloss die Augen, atmete tief durch und schob sich den Glibber in den Mund. Vorsichtig, ganz vorsichtig kaute sie darauf herum. Es fühlte sich ungewohnt, aber eigentlich gar nicht so schlimm an. Ein bisschen wie weiches Fleisch. Die Soße hatte so viel Knoblauch in sich, dass alles andere danach schmeckte. Gott sei Dank! Paula verspürte Erleichterung. Sie würde sich einfach voll und ganz auf den Knoblauchgeschmack konzentrieren. » Mmh, très bon! « Diese Blöße würde sie sich vor ihrer Gastmutter auf keinen Fall geben. Eine Schnecke nach der anderen landete in ihrem Magen und sie hoffte, dass sie sich dort auch schön ruhig verhalten würden. Alle anderen am Tisch waren ebenfalls mit ihren sechs Tierchen beschäftigt. Zufriedenheit machte sich breit. Auch Marie und Stéphane schienen absolute Schneckenfans zu sein. In null Komma nichts waren alle Vertiefungen in den Schalen blitzblank. Verrückt, wie man sich daran gewöhnen kann, dachte Paula.
Kurz darauf schritt Claude mit einem riesigen Tablett auf den Tisch zu und verkündete dabei: » Pour toi, Paula, un vrai chef d’œuvre de la cuisine française. « (Für dich, Paula, eine echte Besonderheit der französischen Küche.) Paula hoffte, dass sie jetzt für die Schneckenqual entschädigt würde und freute sich auf ein ordentliches Stück Fleisch oder einen Gemüseauflauf oder Pasta oder Fisch oder einen Reistopf oder … Oh nein, bitte, bitte nicht! In der Mitte des Tisches stand jetzt ein großer Bräter, der weder den fetten Braten noch saftige Koteletts beherbergte, sondern dünne, kleine, unförmige Beinchen: Froschschenkel! Mit einer widerlichen Selbstverständlichkeit lagen sie alle nebeneinander, reckten ihre krummen Dinger in die Luft und waren von oben bis unten mit Petersilie bedeckt. Paula wurde sofort schlecht, sie entschuldigte sich kurz und verschwand auf die Toilette. Dieser Anblick würde sie noch in ihren Träumen verfolgen! Als sie zurückkam, ein wenig erleichtert und mit frischem Kampfgeist ausgestattet, waren alle anderen bereits munter am Speisen. Marie, Stéphane und sogar die Kleinen bissen herzhaft in die dünnen Beinchen. » Ça va, Paula? «, fragte der Hausherr zwar besorgt, aber mit einem Hauch von Belustigung um die Mundwinkel. Wirklich witzig, dachte Paula. » Oui, ça va! « Was sonst sollte sie darauf
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