Fettnaepfchenfuehrer Italien
Pferdewagen stammten und ob die Steine gar schon seit der Antike dort lagen. Die Vorstellung, dass seit 2000 Jahren dasselbe Pflaster benutzt wurde, faszinierte sie. Fast sah sie Männer in Togen und Frauen mit Krügen über den Weg huschen.
»Weg da«, schrie der Kutscher eines herankommenden Pferdewagens, »aus dem Weg!« Aus ihren Ohrenstöpseln kam, dazu passend, das Lied »Rome wasn‘t build in a day« von der britischen Band Morcheeba. Eigentlich war es eine Art Liebeslied, das sagen wollte, dass man Ausdauer brauche. Doch für Franziska war es Teil ihrer Rom-Liedersammlung, die aus italienischer Musik bestand und eben aus Titeln, die direkt oder indirekt etwas mit Rom zu tun hatten.
Franziska musste aufpassen, wo sie hintrat. Man konnte nicht einfach so über die alten Steine laufen, sondern musste sich seinen Weg suchen, wollte man nicht Gefahr laufen zu stolpern. Franziska fing an, schneller über die Steine zu springen. Es machte Spaß.
Als sie genug davon hatte, wechselte sie auf das Grün neben dem Weg. Hinter einem Zaun grasten Schafe, am Rand der Weide standen Pinien mit ihrem mächtigen Blätterdach, es war fast zu idyllisch.
Franziska dachte nach. Eigentlich war der Abend mit ihrem Papa ja ganz nett gewesen. Dennoch spürte sie, dass etwas zwischen ihnen stand. Nur was? Franziska neigte zuweilen zum Grübeln, machte sich viele Gedanken, auch zu viele. Bisher hatte sie Rom sorgenfrei erlebt, doch jetzt, mit dem Besuch ihres Vaters, war ein Stück Leichtigkeit gegangen. War sie diejenige, die ein Hindernis zwischen sich und ihren Vater gestellt hatte? Weil sie seine penible Art nicht ertragen konnte? Oder waren das noch Reste aus der Pubertät, von dem Abnabelungsprozess, den jedes Kind durchmachte oder zumindest durchmachen sollte? Aber warum hatte sie zu ihrer Mutter ein so viel besseres Verhältnis? Wann hatte sich eigentlich das Verhältnis zu ihrem Vater verschlechtert? Sie erinnerte sich an keinen genauen Zeitpunkt. Als sie noch klein war, hatte er oft mit ihr gespielt. Ihr kam ein Ostern ins Gedächtnis, an dem sie im Garten standen und er ihr wieder und wieder einen roten Ball zugeworfen hatte. Sie konnte ihn nur in den wenigsten Fällen fangen, und doch wollte sie nicht aufhören mit diesem Spiel. Wie alt mag sie da gewesen sein? Viele Jahre später, als sie am Anfang der Pubertät stand und es ihr peinlich war, wie sie langsam zur Frau wurde, war er es, der versuchte, sie aufzuklären, nicht ihre Mutter. Sie hatte den Versuch abgeblockt. Sie wollte nicht über solche Themen sprechen, nicht mit ihrem Vater, auch nicht mit ihrer Mutter, mit niemandem. Eigentlich, dachte Franziska, hat er früher doch alles richtig gemacht. Und doch ist unser Verhältnis heute so, wie es ist. Seltsam.
Das Klingeln ihres Telefons unterbrach ihre Gedanken. Doch bevor sie ihr Telefon in der Hand hatte, war es auch schon wieder vorbei. Ein einziges Läuten. »Cristiano Cell« blinkte in ihrem Display auf, Cristiano Cellulare . Sie hatte in ihrem Handy immerhin schon italienische Bezeichnungen für die Nummern: »Cristiano Casa« war die Festnetznummer, »Cristiano Cell« bedeutete Cristiano Cellulare , also seine Mobilnummer. Hat er sich wohl verwählt, dachte Franziska und packte das Telefon wieder weg.
Franziska beobachtete eine junge Mutter, die mit einer Hand versuchte, einen Kinderwagen zu schieben, was weder auf dem groben Pflaster noch auf dem Grünstreifen ein leichtes Unterfangen war und ihr infolgedessen auch nicht gelang. Mit der anderen Hand rauchte sie eine Zigarette, und an dem Kinderwagen war ein knallbuntes Luftballonherz festgebunden, das von einer Schnur gehalten über dem Wagen schwebte. Schließlich blieb sie stehen und rauchte zu Ende. Dann drehte sie sich um und ging wieder in Richtung der befestigten Straße. Franziska sah ihre Schuhe, es war ein schickes Modell, mit Absatz. Ihr ging die Liebe der Italiener zum Bella-figura -Machen deutlich zu weit. Dann lieber weniger elegant aussehen und mit festem, ja, grobem Schuhwerk entspannt durch das Grün spazieren.
Die Sonne schien mild. Franziska dachte an ihren Papa, der jetzt wohl im Petersdom nach dem Papst sucht. Da war es hier draußen deutlich schöner. Sie setzte sich auf eine Bank. Wie frisch die Luft war. »Rom« von Dschingis Khan wollte sie nicht hören, auch wenn der Text gar nicht so dumm war, also schaltete sie auf ihrem MP3-Player weiter. Sie landete direkt bei der nächsten Peinlichkeit, einem Schlager namens »Die Glocken von
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