Fettnäpfchenführer Spanien - Wie man den Stier bei den Hörnern packt
ankommt, bewegt sich sogar die in ihrer Köchinnenehre schwer gekränkte Charo wieder aus der Küche heraus und serviert höchstpersönlich die Süßigkeiten. Der Kuchen stammt aus der pastelería , wie Lena erfährt, und darauf scheint die Hausfrau auch noch stolz zu sein. Ganz im Gegensatz zu Lenas eigener Mutter daheim in Frankfurt, der wäre das oberpeinlich gewesen. Sie hätte sich lieber auf die Zunge gebissen als zuzugeben, dass der servierte Kuchen nicht selbst gebacken, sondern gekauft ist. Aber spanische Hausfrauen überlassen das Kuchenbacken eben gern den Profis, und der Schokoladenkuchen gibt ihnen sogar Recht.
Zum Kaffee, der erst nach dem Nachtisch serviert wird, zieht die ganze Gesellschaft wieder vom Esszimmer in den salón um. Luis fragt Lena, ob sie auch eine copita , ein Gläschen, haben möchte. Ein kleines Bier vielleicht, sagt Lena, worauf sie alle anstarren, als hörten sie das Wort cerveza [ther we tha] heute zum ersten Mal. Komisch, Benito hatte doch vorhin auch ein Bier getrunken, wo ist denn da der Unterschied? »Deutsche trinken eben immer Bier«, sagt Benito und holt ihr eine Flasche aus dem Kühlschrank. Lena schenkt sich ein und sieht sogleich bei den anderen, was es mit den copitas (Gläschen) auf sich hat. Was die anderen trinken, aus kleinen Gläsern, sind schärfere Sachen: Cognac, Brandy, Likör. Aha. Also ist die Verkleinerungsform ( copa – copita ) hier wirklich wörtlich zu nehmen.
Luis schaltet aus einem für Lena unerfindlichen Grund den Fernseher an, aber keiner sieht hin oder lässt sich davon stören. Nur Lena kann sich gar nicht mehr auf das »echte« Gespräch im Raum konzentrieren. Da wird gelacht, erzählt, und daneben lacht und kreischt und knallt es aus dem LCD-Fernsehgerät mit mindestens einem Meter Bildschirmdiagonale. ¿Te molesta? , fragt Abi, die Lenas Verwirrung bemerkt. Ob es sie störe? Lena entscheidet sich für eine ehrliche Antwort und nickt, worauf Abi aufsteht und den Fernseher leiser stellt. Der Ton ist nun kaum mehr hörbar, aber das riesige Bild ist weiter mitten im Raum präsent. »Mach ihn doch aus«, sagt Lena, »es guckt doch sowieso keiner.« Abi sieht ihren Vater an, dann ihren Bruder. Der zuckt mit den Schultern. Dann schaltet sie den Apparat aus.
Lena ist rundherum satt vom Mittagessen, das – aperitivo, café und digestivo (Digestif, die copitas !), in ihrem Fall Bier, eingeschlossen – nun schon fast drei Stunden dauert. Es geht auf eine Uhrzeit zu, zu der viele Menschen in Deutschland schon wieder ans Abendessen denken. Lena hofft, dass das nicht wieder so üppig wird und vielleicht sogar eine vegetarische Option enthält.
Für einen Ausflug in die Umgebung ist es nun eigentlich schon zu spät, denkt Lena. Aber Benito und Abi finden, es sei genau die richtige Uhrzeit dafür. Endlich nicht mehr so heiß, man kann also wieder entspannt hinausgehen. Und im Gehen rufen die beiden Geschwister ihrer Mutter noch schnell zu, dass sie nicht zu Hause zu Abend essen, sondern mit Freunden unterwegs ein paar Tapas futtern werden. Sie solle nicht mit dem Essen auf sie warten. Charo sagt, das habe sie sich schon gedacht, und ¡que os divertáis! [ke os diwer tais ]. Viel Spaß!
In Deutschland sind wir ja froh, wenn es einen Tag warm oder auch richtig schön heiß ist. Für uns heißt gutes Wetter Sonnenschein und hohe Temperaturen. Regen bedeutet schlechtes Wetter. Das wird in den heißen Regionen Spaniens oft ganz anders gesehen. Spanier mögen die Sonne gar nicht so gern und vermeiden ein Ausgehen in den Mittagsstunden. Und fast alle Spanier lieben den Regen, den das Land so dringend braucht. Deshalb sind die regenreichen Regionen Spaniens (Galicien im Nordwesten, die Kantabrische Küste im Norden) auch die beliebtesten Urlaubsgebiete der Einheimischen – neben den Mittelmeerstränden natürlich.
Was ist schiefgelaufen?
Von der Hauptspeise bis zur Nachspeise ist ja nun alles gut gegangen. Nur bei den Getränken hat sich Lena vertan. Bier zum Essen ist völlig okay. Aber dass jemand nach dem Essen Bier trinkt, das haben Charo und Luis wahrscheinlich zum ersten Mal erlebt. Denn nach dem Essen geht es ans Verdauen und dafür ist bekanntlich ein Schnäpschen förderlicher als Bier.
Und dass Lena Abi dann auch noch aufforderte, den Fernseher auszuschalten, wird wohl auch ein einmaliges Erlebnis gewesen sein. Die Gastgeber werden erstaunt zur Kenntnis genommen haben, dass jemand sich von einem sowieso schon leise oder stumm gestellten Apparat
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