Feuchte Ernte. Zwölf schwule Herbstgeschichten.
hatte absolut keine Lust mehr dazu. Ich schlenderte etwas an der Rennstrecke entlang. Weiter hinten sah ich die kleinen Boxen, wo die Mechaniker auf ihre Fahrer warteten, um blitzschnell Reparaturen auszuführen, wenn es nötig war. Vor einer roten Blechbox stand ein blutjunger Techniker und starrte Löcher in die Luft. Er sah wirklich bezaubernd aus, wahrscheinlich keine zwanzig, mit einer schlanken Figur, blonden Locken und süßen, blauen Augen. Aber nichts für mich. Ich bin sechsunddreißig und stehe als Angestellter beim regionalen Wasserbetrieb mitten im Leben. Ich gelte weder als Träumer, noch glaube ich an Wunder. Deshalb weiß ich, dass ein so leckerer Junge niemals einen alten Knochen wie mich beglücken würde – nicht einmal dann vermutlich, wenn ich das Vermögen von Tante Emmi schon auf meinem Konto gehabt hätte. Obwohl ich mit meiner passablen Figur und dem dichten, dunkelblonden Haar noch recht ansehnlich bin.
Da näherten sich die Piloten erneut. Die zweite Runde begann. Ein Fahrer scherte aus und hielt genau auf die Box zu, vor der der schöne Mechaniker stand. In dessen Körper kam schlagartig Leben. Er sprang zu dem Rad hin, einer leuchtend rot lackierten Ducati. Der Pilot hatte einen knallroten Lederoverall an, geschmückt mit allerlei Werbelogos. Er klappte sein Helmvisier hoch und brüllte im Motorenlärm dem Mechaniker etwas zu. Ich verstand kein Wort. Der blonde Junge schien aber vollkommen im Bilde zu sein. Er nahm aus seinem Werkzeugkoffer einen bestimmten Schlüssel und hantierte blitzschnell an der Maschine herum.
Ich achtete kaum darauf, denn ich war gefesselt von dem Ducati-Piloten, dessen Gesicht ich nun wenigstens teilweise erkennen konnte. Er war ein schlanker, aber groß und kräftig wirkender Kerl, mochte um die neununddreißig, vierzig sein. Er hatte wilde, dunkle Augen, eine große, gerade Nase und einen vollen, energisch aussehenden Mund. In seiner roten Lederkluft wölbte sich ein beachtliches Schwanzpaket.
Leider war die kleine Reparatur bereits beendet. Der attraktive Pilot klappte das Helmvisier herunter und schoss unter dem dröhnenden Aufjaulen des Motors wieder auf die Rennstrecke.
Mir war heiß geworden. Das war es, was ein Junge von zwanzig nicht bieten konnte, auch wenn er noch so hübsch war – geballte Männlichkeit! Ich fühlte mich von der roten Ducati-Box magisch angezogen. Irgendwann würde dieser Klassemann ja dorthin zurückkommen. Langsam schlenderte ich zu dem jungen Mechaniker hinüber.
»Hallo!«, grüßte ich. »Wie sieht es aus für die Ducati?«
Der Junge nickte selbstsicher. »Okay, wir haben alles im Griff. Die andern müssen auch irgendwann an die Box.«
»War was Ernstes?«
Er schüttelte seinen Lockenkopf. »Gino hat alles im Griff.«
Das schien sein Lieblingsausdruck zu sein. Der Pilot hieß also Gino. Heimlich drückte ich die Daumen für seinen Sieg. Nur ein paar Meter weiter standen die Schiedsrichter an der Ziellinie. Ich vergaß Tante Emmi total und fieberte jetzt mit den Rennfahrern. Die nächste Runde wurde gefahren. Gino – ich erkannte ihn und seine Maschine sofort – lag immerhin schon wieder im hinteren Mittelfeld, eine tolle Leistung nach dem Boxenstop. In den folgenden Runden holte er immer weiter auf. Ein Fahrer nach dem anderen musste an seine Box, und unaufhaltsam näherte sich Gino dem Spitzenfeld. Mehr als zwanzig spannende Runden lang ließ ich mich von dem rasenden Sport fesseln.
Die letzte Runde begann. Eine blaue Honda schob sich vor Ginos Ducati. Dann ging eine sonnengelbe Yamaha zum Angriff über. Gino ließ den Motor aufheulen und legte einen Zahn zu. Dann verlor ich das Feld aus den Augen. Ich spürte heiße Erregung. Obwohl ich Gino gar nicht wirklich kannte, wünschte ich ihm den Sieg wie nichts auf der Welt. Warum? Ich konnte es nicht sagen.
Da tauchte das Spitzenfeld wieder auf. Noch einmal legten sich die Räder in die Kurve, noch einmal schleiften die Knie der Piloten auf dem Asphalt. Die gelbe Yamaha lag vorn, dicht gefolgt von Ginos Ducati. Die Zielgerade begann. Auf einmal schoss die Ducati vor – offenbar hatte sie noch ungeahnte Reserven – und raste als Erste durchs Ziel. Jubel bei den Zuschauern. Unser Mechaniker – ich dachte einfach „unser“ – warf die Arme hoch, und ich schrie genauso laut vor Freude wie er.
Eine Weile später rollte Gino auf der Ducati langsam auf unsere Box zu. Das Visier war hochgeklappt. Sein markantes Gesicht strahlte vor Stolz. Über seiner Schulter lag
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