Feuer der Götter: Roman (German Edition)
inmitten eines lichten Fleckens, auf den die Helligkeit eines dunstigen Morgens fiel: Die armlangen roten Blütenblätter umeinandergeschlungen, sah die Giftnaua so schön wie gefährlich aus. In den Nebeln ringsum wirkten die in alle Richtungen wachsenden Hüllen der Würgerpflanzen wie erstarrte Geisterwesen. Geduckt huschte ein Reptil durch knöchelhohes Wasser. Naave blickte zurück zu dem Versteck, aus dem sie geklettert waren. Ihr war unbegreiflich, wie der Dämon es geschafft hatte, dem Giftschlaf zu trotzen und sie in den Schutz der Schlingpflanzenumhüllung zu tragen.
Über ihnen trafen sich die Spitzen riesiger Farne; unter ihnen huschten dicke Käfer und gewaltige Spinnen über den weichen Moosboden. Als sie an der Giftnaua vorbeikamen, wartete Naave, dass sich die armlangen Blütenblätter öffneten und ein Nadelregen auf sie niederging. Doch nichts geschah.
»Wo ist das Axot jetzt?«, fragte sie.
»Es ist nicht da. Nur seine Jungen.«
Sie legte den Kopf in den Nacken und suchte nach verräterischen Schatten in den Morgennebeln. Woher wusste er …
»Ich kann Axots in meinem Innern spüren.«
»Ah, da spricht wieder der Gott.«
»So ist es. Wir müssen zusehen, dass wir hier wegkommen. Allzu lange sollten wir uns in der Nähe eines Axotnests nicht aufhalten. Nur weil ich es unter meinen Willen zwang, ist es nicht unser Freund.«
Er blieb vor einer gedrungenen Palme mit schweren, rundlichen Blättern stehen. War das nicht die blaue Sonnenpalme, deren Nussöl ihr der Hohe Priester gezeigt hatte? Stärkend wirkte es, meinte sie sich zu erinnern. Doch Royia pflückte nicht die Nüsse, sondern stocherte mit dem Dolch am Wurzelwerk herum. Er gab ihr einige Brocken.
»Warum essen wir nicht die Nüsse?«, fragte sie.
»Die Wurzeln sind wirksamer und leichter zu kauen.«
»Woher weißt du solche Dinge?«
»Von Xocehe, meiner Lehrmeisterin. Sie war es, die mir die Narben zufügte. Mir und anderen Erwählten zuvor. Sie ist die Göttin der Heilkunde, die Göttin des achten Mondes.« Bei diesen Worten lächelte er auf eine undeutbare Weise. »Aber ich kann ja erzählen, was ich will, nicht wahr?«
»Die Göttin des achten Mondes«, echote sie verblüfft. »Und du wunderst dich, dass man dir nicht glaubt. Wenn du ein Gott bist, musst du das doch beweisen können?«
»Genügt dir das, was sich auf meinem Rücken abspielt, nicht?«
»Das heiße Licht? Das beweist nur, dass du bist, wofür ich dich halte: ein Feuerdämon. Du machst mich mit deinem Licht verrückt! Kannst du mit dem Leuchten nicht aufhören?«
»Es hört auf, wenn sich die Wunde schließt oder nicht mehr schmerzt.«
»Warum hat das Axot nicht auch deine Wunde abgeleckt?«
»Es war ein wildes Tier, dem ich den Rücken niemals hätte zuwenden dürfen«, erwiderte er schroff, fuhr herum und lief weiter, ohne sich zu vergewissern, dass sie ihm folgte. Ihr blieb nichts, als sich zu sputen. Obwohl er schnell ausschritt, soweit es das Gelände zuließ, sah sie doch, dass ihm der fehlende Schlaf und die Verletzung zu schaffen machten.
»Also, heilen kannst du dich nicht. Uns auf eine bequemere Art hier herausbringen ebenso wenig. Aber ich will einmal annehmen, du seist ein Gott. Wieso bist ausgerechnet du einer?«
»Ich wurde von Toxina Ica erwählt. Sagte ich das nicht?«
»Das hast du. Wahrscheinlich sogar mehrmals. Aber nicht, warum die Wahl auf dich fiel. Bei der Güte des Gott-Einen!«, rief sie, da er schwieg. »Diese Geschichte wird doch irgendwo einen Anfang haben?«
»Ganz am Anfang stand Iq-Iq … Weißt du überhaupt, wer das ist?«
»Natürlich. Iq-Iq ist der Alte Gott. Der Urvogel, aus dessen Ei die Welt schlüpfte. Das weiß nun wirklich jeder.«
»Iq-Iq steht für die Gerechtigkeit und Ordnung der Welt. Daher hatte ich meine Zweifel, ob ein Mädchen aus der verdorbenen Stadt das wissen kann.«
»Ich hasse dich, sagte ich das schon?«
»Mehr als einmal.« Er blieb wieder stehen und hob einen Arm, damit sie nicht weiterlief. Eine Fledermaus huschte dicht über ihren Köpfen vorbei. Ihr folgte ein ganzer Schwarm; wie eine Gewitterwolke stürzten sie vorbei, auf der Jagd nach Insekten, von denen es reichlich gab. Fledermäuse gab es auch in der Stadt, und Naave war froh, hier etwas Vertrautes zu erblicken. »Also hör zu«, fuhr Royia fort, als er weiterging. »Aus dem Ei entschlüpfte die Welt als feuerspeiender Berg und mitten darin Toxina Ica, Iq-Iqs Sohn. Er lebte über hundert mal hundert Jahre allein auf dem Berg, im
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