Feuer der Leidenschaft
Somerset House betrat. »Du hast wahrlich nicht übertrieben, als du mir erzählt hast, wie lange die Warteschlange von Leuten sei, die erfahren möchten, ob ihre Werke zur Ausstellung angenommen wurden.«
Rebecca rückte etwas dichter an ihn heran. »Bedenke doch, daß es hier noch viel schlimmer zugegangen wäre, wenn wir bereits am frühen Morgen hergekommen wä-
ren.«
»Es ist auch jetzt noch schlimm genug. Es müssen doch mindestens fünfzig oder sogar sechzig Männer hier auf ihr Urteil warten.« Er lächelte sie an. »Und ungefähr drei Frauen.«
Noch mehr Künstler betraten jetzt die Vorhalle. Es schien ein nicht abreißender Strom von Leuten zu sein, der hinter ihnen durch die Türen drängte. Viele von ihnen konnten vor lauter Nervosität nicht stillstehen. Da Kenneth wußte, wie sehr Rebecca Menschenansammlungen haßte, musterte er jeden, der ihnen zu nahe zu kommen drohte, mit seinem strengsten Offiziersblick. Und so gelang es ihm, sich und Rebecca einen größeren Freiraum zu verschaffen, als es anderen vergönnt war.
Der Hausmeister blickte bei jedem, der ihn nach dem Urteil der Jury befragte, in seine Liste. Er machte gerade ein großes Gewese daraus, dem Mann, der sich im Augenblick an der Spitze der Warteschlange befand, mit laut hallender Stimme sein >Nein< zu verkünden, nachdem er in der Liste dessen Namen gefunden hatte.
»Armer Teufel«, murmelte Kenneth, als sich der Mann umdrehte und mit kalkweißem Gesicht die Vorhalle wieder verließ.
Rebecca hielt sich an seinem Arm fest. »Das kann einem die Sache wirklich verleiden«, sagte sie leise.
Er tätschelte ihre Hand, die auf seinem Unterarm ruhte, und merkte, daß sie kalt war wie Eis. »Ich würde dir zwar nur die Wahrheit damit sagen, wenn ich dir jetzt erklärte, daß du angenommen bist — aber deshalb würdest du dich auch nicht besser fühlen, nicht wahr?«
Sie sah ihn mit einem kläglichen Lächeln an. »Du mußt dich genauso fühlen wie ich.«
»Schlimmer«, erklärte er mit Nachdruck. »Meine Chancen stehen ja auch viel schlechter als deine.«
»Ich habe zwar die bessere Technik, aber deine Bilder haben mehr Substanz.«
»Deine Arbeiten haben in jeder Hinsicht genauso viel Substanz wie meine. Sie sind nur nicht so melodrama-tisch.«
Sie sahen einander an und brachen dann gleichzeitig in ein Gelächter aus. »Wir befinden uns in einer schrecklichen Verfassung, nicht wahr?« sagte Rebecca.
Er hatte sich ihr noch nie so nahe gefühlt wie jetzt.
Offenbar stellten geteilte Sorgen eine ebenso feste Bindung zwischen Mann und Frau her wie die Leidenschaft, die sie teilten. Er hoffte von ganzen Herzen, daß ihre Arbeiten angenommen worden waren. Er hingegen hatte sich bereits insgeheim mit der Tatsache abgefunden, daß seine Bilder zurückgewiesen wurden. Sie hingegen würde eine Zurückweisung, so unwahrscheinlich sie auch sein mochte, viel schlimmer treffen als ihn. Schließlich war sie keine Unbekannte, sondern Sir Anthonys Tochter.
»Wir sollten jetzt schleunigst das Thema wechseln«, sagte er, »bevor wir in eine tiefe Melancholie verfallen.« Er versuchte einen unverfänglichen Gesprächsstoff für sie zu finden. »Laß uns über Gray Ghost reden. Er befindet sich in einer großartigen Verfassung für einen Kater, der deiner Schätzung nach bereits zehn oder sogar zwölf Jahre alt sein muß.«
Und sie darauf mit dem Anflug eines Lächelns: »Das sollte einen aber nicht wundern, da er höchstens zwei von diesen zwölf Jahren wach gewesen ist.«
Er kicherte. Es gelang ihnen, in einem scheinbar unbefangenen Plauderton miteinander zu reden, während sie sich langsam mit der Schlange voranbewegten: Aber Kenneth bezweifelte, daß sie beide sich später auch nur an ein Wort erinnern würden, das sie jetzt miteinander redeten.
Obwohl sie so sehr in ihr Gespräch vertieft waren, entging ihm nicht, daß im Schnitt drei von vier Künstlern von der Jury abgelehnt worden waren, und er war überzeugt, daß Rebecca das ebenfalls bemerkt hatte.
Eine Ewigkeit später, wie es ihnen vorkam, hatten sie dann nur noch einen Mann vor sich in der Warteschlange, der nun mit heiserer Stimme dem Hausmeister sei- ] nen Namen nannte: »Frederick Marshall.«
Der Hausmeister fuhr nun, lautlos die Lippen bewegend, mit dem Finger an den Kolonnen von Namen in seiner bereits recht mitgenommen Liste entlang. Dann schielte er über seine halbmondförmigen Brillengläser ‘ hinweg auf den Künstler: »Marshall. Nein.«
Marshall schlug seine rechte zur
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