Feuer der Lust - Page, S: Feuer der Lust
Sie konnte seine Miene nicht erkennen, aber sie sah seine aufrechte Haltung und bemerkte, dass er ständig den Kopf nach rechts und links wandte, um alles um sich herum im Blick zu haben.
Dicht hinter ihrer Kutsche hörte sie ebenfalls ein Knirschen im Kies und lehnte sich aus dem Fenster, um nachzusehen, was es war.
Soeben hielt ein eleganter Phaeton an, dessen Fahrer hoch über dem Boden saß. Es handelte sich um einen Gentleman mit einem breitkrempigen Hut und einem weiten Mantel. Sie entdeckte einige silbrige Strähnen in seinem Haar, doch trotz der senkrechten Falten um seinen Mund und den Fältchen in seinen Augenwinkeln war er ein gut aussehender Mann. So gut aussehend, dass sie für einen Moment die Luft anhielt. Leuchtend grüne Augen unter schwarzen Wimpern. Volle Lippen umgeben von dunklen Bartstoppeln. Eine Narbe verlief direkt über seinem Wangenknochen. Hinten von der offenen Kutsche sprang ein Pferdeknecht.
„Grace.“
Die Tür auf der gegenüberliegenden Seite schwang auf, und die warme Nachmittagsluft strömte zusammen mit den Geräuschen der Natur in die Kutsche. Sie hörte das Flüstern der Blätter und des Grases, das Summen der Insekten und das Muhen der Kühe.
Grace starrte Devlin an, der vor der offenen Tür stand und ihr die Hand entgegenstreckte, um ihr aus der Kutsche zu helfen.
„Es wird Zeit, dass du dich auf den Heimweg machst. Du hast deine Aufgabe erfüllt und mich wohlbehalten an mein Ziel gebracht.“
„Das gefällt mir nicht. Der Kerl im Phaeton ist Lord Sinclair, ein notorischer Weiberheld. Er wird in deinem Bett liegen, bevor der Mond aufgeht.“
„Devlin! So etwas würde ich niemals zulassen.“
„Er fragt nicht um Erlaubnis, Süße. Du brauchst mich hier.“
Grace schluckte heftig. Zwei Jahre waren vergangen, seit sie den Fehler gemacht hatte, Lord Wesley zu glauben und deshalb nun für immer einen Makel mit sich herumtrug. Doch zwei Jahre waren nicht so furchtbar lange. Sie wollte nur zu gern glauben, dass sie nicht noch einmal auf einen gewissenlosen Verführer hereinfallen würde, aber sie war sich nicht sicher. Vor zwei Jahren war Devlin gekommen und hatte sie gerettet. Er hatte dafür gesorgt, dass ihr Ruf nicht ruiniert wurde. Sosehr sie auch seinen Schutz wollte, dieses Mal musste sie Devlin wegschicken.
Aber die Wahrheit war – sie wollte nicht, dass er ging. „Devlin“, flüsterte sie. „Du kannst unmöglich bleiben.“
10. KAPITEL
Doch er hatte sie gewarnt, dass er sich nicht an die Gesetze des Königs hielt, und folglich nutzten auch ihre Drohungen, ihre Argumente und die Bitten nichts, zu denen sie sich in einem Augenblick der Verzweiflung hinreißen ließ.
Grace begriff, dass Devlin entschlossen war zu bleiben. Wenigstens hielt er sich im Hintergrund, rauchte eine Zigarre und beobachtete unter der Krempe seines schief auf dem Kopf sitzenden Hutes, wie sie an die Haustür klopfte.
Ein ältlicher Diener öffnete die Tür – ein Butler, nahm sie an, als sie seine vornehme Kleidung betrachtete, obwohl sie erstaunt war, auf einem so schlichten Anwesen einen Butler anzutreffen. Sein Rücken war gebeugt, und als er auf Grace’ Frage hin den Kopf zur Seite legte, sah er aus wie ein Fragezeichen in Menschengestalt.
„Wen nannten Sie soeben, Miss?“
„Lady Warren. Sie ist zu Gast bei Lord Avermere. Ich bin …“ Sie verstummte. Durfte sie öffentlich zugeben, dass sie die Enkelin Ihrer Ladyschaft war? „Ich bin Miss Hamilton.“
„Ah.“ Der Mann senkte den Kopf. „Das Fest findet im Haupthaus statt. Das hier ist der Landsitz. Sie müssen über das Wasser, um zum Haus Seiner Lordschaft zu gelangen. Es liegt auf der Insel – direkt westlich von Cowes. Es ist keine lange Fahrt, Miss, und ein Schiff wird bereitgehalten, um die restlichen Gäste überzusetzen, die vor Kurzem eingetroffen sind. Ihr Gepäck muss zum Anleger gebracht werden. Ich schicke Ihnen jemanden, der das erledigt.“
Die Tür schloss sich, wurde aber einen Augenblick später abrupt wieder geöffnet. „Das Schiff wird erst in einer Stunde ablegen. Vielleicht möchten Sie sich gerne frisch machen, Miss.“
Sie war müde, verschwitzt und schmutzig vom Straßenstaub. Ihr Herz klopfte panisch bei dem Gedanken, dass sie nur eine Stunde vor Abfahrt des Schiffes angekommen war. Was, wenn sie es verpasst hätte? Aber sie nickte und schaute sich nach Devlin um. Er schien in ein freundliches Gespräch mit den Dienern vertieft zu sein. „Ja“, sagte sie. „Ich würde mich gerne
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