Feuer der Nacht
denn dann konnte sie ihren Gedanken nicht entrinnen – und auch nicht der zwangsläufigen Erkenntnis, dass sie ein Feigling war.
Nein, hier zu sein war die bessere Alternative. Die letzte Hochzeit dieser Woche war die traditionellste und auch spektakulärste. Beide Familien waren gut im Geschäft – die eine in der Musikbranche, die andere im Maschinenbau, was erheblich langweiliger war als Musik, aber offensichtlich auch erheblich profitabler; jedenfalls hatte Geld keine Rolle gespielt. Die Mutter der Braut stammte aus einer der prominentesten Familien Georgias, was das Sozialprestige des Events hundertfach erhöhte. Alles zusammengerechnet war das also die Hochzeit, bei der man dabei sein musste; hier war man an diesem Sonntagnachmittag goldrichtig.
Die Kirche war elegant mit weißen und teefarbenen Rosen, Lilien und so vielen flackernden Kerzen geschmückt, dass die Unkosten reinste Gedankenverschwendung waren. Ein Geigertrio sorgte für die Musik – Klassik ohne Firlefanz –, und die Gäste waren eingetroffen und machten sich nun zum Einzug in die Kirche bereit. Alle waren angemessen gekleidet und hatten sich, in Anbetracht der Bedeutung des Tages, bis jetzt ebenso angemessen benommen. Sogar das Blumenmädchen und der Ringträger waren süß und verhielten sich gesittet. Keiner der beiden ließ auch nur einen Piepser hören: keine Tränen, keine Wutausbrüche, und im Gang übergeben hatte sich auch keiner. Das konnte sie eindeutig als Erfolg verbuchen.
Die Brautjungfern wirkten reizend in einem blassen Lachston, der ihnen allen gut stand, und jede einzelne schien sich zu freuen, an dieser Hochzeit teilzunehmen. Falls eine von ihnen an dem Ewige-Brautjungfer-nie-Braut-Syndrom litt, wusste sie es jedenfalls gut zu verbergen. Ihre Gewänder waren von schlichter Eleganz, und Jaclyn bezweifelte nicht, dass die Mädchen sie wieder tragen und nicht auf dem Flohmarkt verkaufen oder gar verbrennen würden.
Die Braut hatte ein umwerfendes klassisches Kleid gewählt, und der Smoking des Bräutigams passte so perfekt, dass er maßgeschneidert sein musste – aber vermutlich besaßen die Hochzeitsgäste hier allesamt einen maßgeschneiderten Smoking. Die Kirche duftete nach Blumen, Kerzen und einem Hauch Parfüm. Der Tag draußen war heiß, doch da im Gotteshaus die Klimaanlage auf Hochtouren lief, war es angenehm kühl. In dem Moment, als das Paar das Ehegelöbnis ablegte, war die Welt jedenfalls in Ordnung.
Jaclyn sah sich in der Kirche um und klopfte sich und ihrer Mutter im Geist auf die Schulter. Diedra und Peach bedachte sie still und leise mit einer Siegesgeste: Hände hoch und abgeklatscht – sie hatten wirklich tolle Arbeit geleistet! Vor allem für das Brautpaar im Mittelpunkt war dies ein denkwürdiger Tag, ein unvergesslicher Augenblick. Welch ein Glück, dass es in dieser verrückten Welt noch solche Momente gab.
Sie hätte sich nicht umsehen sollen, denn ihr Blick fiel plötzlich auf einen großen, muskulösen Mann, der reglos hinten in der Kirche stand, halb im Schatten verborgen. Man hatte ihn nicht eingeladen, doch die Dienstmarke und die Waffe, die er trug, waren Einladung genug. Als er ankam, hatten die beiden Väter sich ernsthaft mit ihm beraten, beide hatten genickt, und Eric hatte bekommen, was er hatte haben wollen: die Erlaubnis, bleiben zu dürfen. Er hielt sich abseits, doch sie würde nicht einen Moment vergessen, dass er da war, und wusste auch stets, wo er war, ohne überhaupt hinschauen zu müssen.
Von der ersten Sekunde an, seit sie ihn gesehen hatte, stand ihr Leben Kopf. In nicht einmal einer Woche hatte sie ihr fast schon übervorsichtiges Wesen komplett über Bord geworfen, um einen One-Night-Stand zu genießen, dann hatte eine Kundin sie angegriffen und gefeuert, anschließend war sie des Mordes an eben dieser Kundin verdächtigt worden – und zwar von dem Mann, mit dem sie den One-Night-Stand gehabt hatte. Ach ja, und dann sollte sie nicht vergessen, dass sie auch selbst von einem Möchtegernmörder attackiert worden war, und zwar vermutlich von dem gleichen Täter, der auch Carrie Edwards auf dem Gewissen hatte, und nun hatte man ihr Auto beschlagnahmt, und sie wohnte in einem Hotel, weil sie in ihrem eigenen Haus nicht mehr sicher war. Sie hatte sich immer für eine starke Frau gehalten, aber sie war bei Weitem nicht stark genug, um das alles durchzustehen. Sie war froh, dass Eric da war. Ihm gegenüber konnte sie dies nicht zugeben, doch sich selbst gestand sie es nun
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