Feuer der Nacht
wetten, dass Carrie die Schneiderin angerufen und den Termin geändert hatte. Das hatte nichts Gutes zu bedeuten.
Jaclyn schritt flotter aus, als sie in der Hoffnung auf den Seiteneingang zuging, nicht schon zu spät zu kommen. Sie war gerade einmal sechs Schritte den Gang hinuntergegangen, als sie feststellte, dass sie sogar viel zu spät kam.
Gretchen bog um die Ecke und rannte schier in Richtung Parkplatz – wie auf der Flucht. Sie hatte ein rotes Gesicht, mit einer Hand hielt sie ein kurzes Stück Stoff umklammert. Als sie Jaclyn sah, kam sie mit zusammengebissenen Zähnen schlitternd zum Stehen, dann ging ihr der Mund über.
»Sie könnte mir eine Million Dollar zahlen, und selbst dann würde ich ihr das Braukleid nicht noch einmal nähen. Kein Geld der Welt ist es wert, dieses Luder ertragen zu müssen!« Gretchen war klein und drall, in den Fünfzigern und attraktiv, mittelblond und stets adrett gekleidet. Sie war normalerweise auch umgänglich und ließ stets ein Lächeln sehen, heute jedoch nicht. »Die Brautjungfern können nackt gehen, mir ist das jetzt egal!«
Nun, das hörte sich recht endgültig an. Jaclyn atmete tief durch. »Was hat sie gesagt?«
Gretchen konnte mit Mühe die Tränen zurückhalten. »Unter anderem hat sie gesagt, dass die Qualität der Kleider unter aller Kanone sei und dass ich mich glücklich schätzen könne, dass sie mich nicht längst gefeuert hat. Da meine Arbeit so ein Pfusch ist, sehe sie keinen Grund, weshalb ich ihr die neuen Gewänder nicht in den nächsten zwei Wochen nähen könne, denn so beschäftigt wäre ich ja wohl sicher nicht, schließlich gäbe es ja genügend kompetente Schneiderinnen in dieser Gegend.« Gretchen zitterte das Kinn, dann riss sie sich zusammen. »Sie hat gesagt, dass sie mich fertigmachen würde, dass ich nie wieder einen Auftrag für eine wichtige Hochzeit kriegen würde, wenn ich nicht tue, was sie anordnet.«
Jaclyn legte Gretchen beruhigend eine Hand auf den Arm und sagte leise: »Sie wissen doch, mit wem Sie es zu tun haben. Lassen Sie sich von ihr nicht einschüchtern. Niemand mit Verstand im Kopf nimmt ernst, was sie redet.«
»Da kann ich nur hoffen, dass Sie recht haben.« Gretchen fasste sich wieder. »Wir werden es ja bald wissen. Jedenfalls bin ich außen vor. Das Leben ist zu kurz, um sich mit Leuten ihres Schlags herumzuärgern.«
Da konnte Jaclyn nur zustimmen; sie wollte aber dennoch alles tun, um im Rennen zu bleiben. Die Familie des Bräutigams war prominent. Seine Mutter kam aus einer alteingesessenen Familie in Georgia, die nur so in Geld schwamm. Und sein Vater war in der Politik hier in Georgia. Wenn sie den nächsten Monat durchstand, wäre sie eine gemachte Frau.
Aber trotzdem: Wenn Carrie je wieder Premier für einen Event engagieren wollte, dann hätten sie keinen Termin mehr frei – zu viel Arbeit. Und selbst wenn sie mittellos wären und Däumchen drehen würden, hätten sie zu viel Arbeit, um den Auftrag anzunehmen.
Sie traf Carrie im Hauptempfangssaal sitzend an; sie hatte auf einem Stuhl in der Nähe des einzigen Tisches Platz genommen, der für ihre Besprechungen hergerichtet war. Der restliche riesige Raum war leer, kahl und öd. Die Bühne hinten lag dunkel und verlassen da. Der Hartholzboden war unlängst gesäubert worden und spiegelte nur so, aber ohne die üblichen Stühle und Tische wirkte er etwas traurig. Wenn alles an seinem Platz stand – die mit Leinen gedeckten Tische und duftenden Blumenarrangements, das warme Büffet und die Torten, die Kerzen, die alles in zauberhaftes Licht tauchten, während die Musik durch den Raum schwebte –, dann war dieser Saal für einen Hochzeitsempfang ideal.
Momentan wirkte er bis auf das zerknitterte Stück Stoff, das einen halben Meter von der künftigen Braut entfernt auf dem Boden lag, einfach nur öd.
»Sie kommen zu spät«, schnauzte Carrie sie an, ohne Jaclyn eines Blickes zu würdigen.
Einen Monat noch …
» Ich bin fünf Minuten zu früh dran«, erwiderte Jaclyn gelassen. »Haben Sie die Uhrzeit des Termins mit Gretchen geändert, ohne mich zu informieren?«
Daraufhin bedachte Carrie sie mit einem funkelnden Blick: »Ich würde Ihnen wärmstens empfehlen, Ihren Kundinnen diese uneinsichtige Frau zu ersparen. In der Tat, ich bestehe darauf, dass …«
Jaclyn legte ihren Aktenkoffer auf dem Tisch ab. »Ich empfehle Gretchen immer wärmstens und werde es auch weiterhin so halten.«
»Sie ist inkompetent. Ihre Arbeit ist Pfusch.«
»An Ihrer
Weitere Kostenlose Bücher