Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
wurden, hier zu zelten. Sie waren gerade in die Mittelschule gekommen. Ein albtraumhafter Tag mit Schnitzeljagd, Würstchen grillen und baden, alles nur, damit »ihr euch gegenseitig kennenlernt«. Anna-Karin hatte als Einzige niemanden, mit dem sie das Zelt teilen konnte, und sie lag die ganze Nacht wach, weil Erik und Ida drohten, ihren Schlafsack anzuzünden, sobald sie eingeschlafen wäre.
Dort, wo der Fuchs sie gebissen hat, wird ihre Hand plötzlich heiß und fängt an zu pochen. Anna-Karin reibt mit den Fingern über die Narbe und geht langsam am Wasser entlang, sucht den Boden nach Wegerichblättern ab.
Sie hört ein deutliches Platschen und schaut auf.
Kleine Ringe breiten sich draußen auf der Oberfläche des Sees aus. Vielleicht ein Fisch, der gesprungen ist. Das muss es gewesen sein.
Es platscht wieder.
Sie beobachtet das Wasser. Neue Ringe bilden sich, dieses Mal näher am Strand.
Anna-Karin weicht langsam in Richtung des Wäldchens zurück, als ein gluckerndes Geräusch von der anderen Seite des Sees herüberdringt.
Nur Fische, denkt sie. Nichts Ungewöhnliches.
Das Wasser in der Mitte des Sees fängt an, sich sacht zu drehen, immer im Kreis.
Und dann zieht es sich langsam vom Ufer zurück. Nasser, sandiger Boden wird sichtbar, Zentimeter um Zentimeter.
Gar nichts Ungewöhnliches, denkt sie. Gar nichts Ungewöhnliches.
Sie geht weiter rückwärts, bis sie in einen Busch stolpert.
Der See verschwindet noch ein paar Zentimeter.
Alles wird still.
Die Wasseroberfläche kräuselt sich nur noch leicht, lässt das Spiegelbild der Bäume erzittern.
Und dann ertönt ein tiefes Gurgeln.
Anna-Karin wagt gar nicht erst hinzusehen. Sie dreht sich um und rennt, bis sie den Weg erreicht hat, der eigentlich nicht mehr ist als zwei breite Reifenspuren mit einem vergilbten Grasstreifen dazwischen.
Um sie herum verdichtet sich die Dunkelheit.
Sie hat gerade die Straße ein Stück weiter vorne erspäht, als ein Schatten vor ihr auf den Weg gleitet.
Zwei bernsteinfarbene Augen funkeln sie aus der Dunkelheit an und sie bleibt abrupt stehen.
Der Fuchs.
Es blitzt weiß vor Anna-Karins Augen auf und sie sieht sich selbst von schräg unten. Sie wirkt wie ein Riese.
Ein neuer Blitz und Anna-Karins Beine geben nach. Sie fällt auf die Knie.
Als sie die Augen öffnet, steht der Fuchs ganz dicht vor ihr.
Ihre Blicke begegnen sich.
Und plötzlich versteht Anna-Karin.
Eine Hexe kann durch einen komplexen Prozess eine besondere Verbindung zu einem Tier aufbauen
.
Adrianas Worte, als sie das erste Mal in ihrem Büro mit den Auserwählten sprach.
Ich habe mich für einen Raben entschieden. Oder besser gesagt, er hat mich ausgewählt.
Mein Familiaris kann mir als Auge dienen oder als Ohr, wenn meine eigenen Sinne nicht ausreichen
.
Der Fuchs ist Anna-Karins Familiaris.
Er hat sie ausgewählt.
Vorsichtig streckt sie eine Hand aus. Der Fuchs mustert sie abwartend. Dann bellt er. Reckt seine Nase vor, leckt mit seiner rauen, kleinen Zunge über ihre Narbe.
Anna-Karin lässt die Hand sinken.
»Hallo«, sagt sie.
Der Fuchs starrt sie an.
»Was passiert denn jetzt?«, fragt Anna-Karin. »Ich meine, muss ich irgendwas tun?«
Der Fuchs bellt noch einmal. Anna-Karin spürt, wie sich tief in ihrem Inneren eine Sehnsucht regt. Sehnsucht, durch den Wald zu streifen, Nadeln und Moos unter den Pfoten zu fühlen …
»Das hier ist schon irgendwie komisch«, sagt sie.
Sie hat das Gefühl, als würde der Fuchs ihr zustimmen. Dann leckt er ihr noch einmal über die Hand und verschwindet.
»Ich nehme an, bis bald«, sagt Anna-Karin verwundert.
Ida, Julia und Hanna H. stehen auf der Terrasse der Holmströms, lehnen sich ans Geländer und beobachten die schick gekleideten Menschen, die den Garten bevölkern. Die meisten Gäste sind beim zweiten oder dritten Drink angelangt und die Stimmung wird immer entspannter, das Lachen gelöster. Die bunten Lichter lassen die Gesichter der Gäste weicher erscheinen, während sich um sie herum die Dunkelheit senkt.
Helena und Krister Malmgren sind schon nach Hause gegangen. Aber es ist, als würde Helenas Geist immer noch über dem Fest schweben. Positives Engelsfors ist das alles beherrschende Gesprächsthema, es rinnt wie Quecksilber durch die Unterhaltungen.
… haben wir doch schon immer gesagt, wenn die Leute sich wenigstens ein bisschen zusammenreißen könnten …
… sie ist so stark, bewundernswert, dass es ihr nicht das Genick bricht …
… man hat immer eine Wahl
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