Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
»Du bist einfach verschwunden. Oder bin ich gegangen? Ich weiß es nicht mehr.«
Aber er scheint sie nicht zu hören. Wortlos setzt er sich zu Minoo und den anderen. Fast so, als wäre er einer der Auserwählten.
Alles ist so seltsam.
Jemand schließt das Kirchenportal und über ihnen beginnen die Glocken zu läuten. Das Flüstern in den Kirchenbänken verstummt.
Sie dreht sich um und schaut zum Pastor, einem jungen Mann, den sie nicht kennt.
Er sagt, dass sie sich hier versammelt haben, um Abschied zu nehmen von einer geliebten Tochter, Schwester und Freundin, und sie sieht sich in der Kirche um und entdeckt überall bekannte Gesichter.
Julia sitzt da, den Kopf nach vorne gebeugt. Große Tränen fallen auf das Gesangbuch, das auf ihren Beinen liegt. Erik sitzt neben ihr. Sein Arm verschwindet hinter ihrem Rücken. Er hat einen merkwürdigen Gesichtsausdruck. Als würde er ebenfalls träumen.
Felicia und Robin sitzen neben den beiden, Hand in Hand. Kevin ist auch da, aber er sitzt so weit weg von den anderen, dass man glauben könnte, er würde sie nicht kennen.
Schluchzen hallt zwischen den steinernen Wänden der Kirche. Eriks Familie und Robins Eltern sind auch gekommen. Åsa tupft sich mit einem Papiertaschentuch diskret ein paar Tränen aus den Augenwinkeln.
Sie geht weiter nach vorne, betrachtet all die Menschen, die sie schon ihr ganzes Leben lang kennt. Ihre Tante hat sie seit Jahren nicht mehr gesehen. Und ihre kleinen Cousinen auch nicht. Sie sind gar nicht mehr so klein.
Aber es sind auch jede Menge Menschen da, die sie kaum kennt. Manche hat sie noch nie gesehen. Sie scheinen genau wie die anderen zu weinen.
Dann hört sie leider eine Stimme, die ihr nur zu gut bekannt ist.
»Bin ich einst tot, mein Liebster, sing keine Trauermessen; pflanz mir zu Häupten Rosen nicht, noch schattige Zypressen.«
Alicja. Sie steht vorne am Altar und singt.
»Lass grünes Gras mich decken, das Tau und Regen nässt; und wenn ihr wollt, gedenket, und wenn ihr wollt, vergesst.«
Mama und Papa. Sie sitzen ganz vorne in der Kirche und sie läuft eilig zu ihnen.
»Was ist denn passiert?«, fragt sie.
Mama weint so sehr, dass ihr ganzer Körper bebt. Papa starrt stumm ins Leere, Tränen rinnen seine Wangen herunter. Rasmus und Lotta sitzen links und rechts von ihm, zusammengekauert an seinen großen Körper gedrückt.
»Hallo?«, sagt sie.
Sie ignorieren sie immer noch. Sie haben ihr immer noch nicht verziehen.
Sie dreht sich wieder zum Altar um.
Der Sarg. Das glänzende, helle Holz. Die schimmernden Messingbeschläge. Das Blumenmeer.
Und ein Foto von ihr. Es steht auf einer großen Staffelei.
Ida hat sich manchmal ausgemalt, wer wohl zu ihrer Beerdigung kommen würde, aber sie hat noch nie zuvor davon geträumt. Sie will jetzt aufwachen.
»Es ist kein Traum.«
Ida dreht sich um. Matilda steht ganz dicht neben ihr. Es ist seltsam, sie so zu sehen. Sie sieht so real aus, beinahe wirklicher als die anderen Menschen hier in der Kirche. Sie trägt ein bodenlanges, weißes Kleid und ihr Gesicht ist ernst.
»Es ist kein Traum«, wiederholt Matilda.
»Aber es muss einer sein«, sagt Ida. »Sonst wäre ich ja tot.«
Matilda antwortet nicht.
Und Ida erinnert sich.
Die Turnhalle. Olivia. Gustaf. Der Kuss.
Es war kein Kuss.
Sie dreht sich wieder um.
»Mama!«, ruft sie. »Mama!«
Ihre Mutter vergräbt das Gesicht in den Händen und ihr Vater legt den Arm um seine Frau und Rasmus.
»Papa?«
»Sie können dich nicht hören«, sagt Matilda.
Ida rennt den Mittelgang hinunter. Die Auserwählten werden sie hören. Sie versucht, Minoo an den Schultern zu schütteln, aber sie bekommt sie nicht zu fassen.
»Minoo«, ruft sie flehend. »Minoo, ich bin hier. Ich bin hier!«
Minoo schweigt. Sie sitzt dicht neben Gustaf. Auch er bemerkt sie nicht.
Ida kneift die Augen zusammen, konzentriert sich, so sehr sie nur kann.
Linnéa! Linnéa! Ich bin nicht tot! Ich bin hier!
Linnéa reagiert nicht. Und Vanessa auch nicht. Oder Anna-Karin.
Sie schaut in die Gesichter der Auserwählten. Sie weinen nicht am lautesten. Aber niemand kann daran zweifeln, dass ihre Trauer echt ist.
Menschen erheben sich in den Bankreihen und gehen nacheinander schweigend zum Altar, um ihre Blumen auf den Sarg zu legen und sich zu verabschieden. Minoo ist die Erste der Auserwählten, die aufsteht.
Ida streckt die Hand nach ihr aus, aber Minoo geht einfach durch sie hindurch.
»Komm«, sagt Matilda.
»Ich will bleiben!«
»Das geht nicht.
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