Feuer (German Edition)
aufzulösen und zu gleicher Zeit zu vervielfältigen. Großartige und schreckliche Bilder glitten durch diesen Aufruhr, begleitet von Wogen von Musik. Tiefste Gedankenkonzentration und gänzliche Zersplitterung wechselten in schneller Folge, wie elektrische Entladungen in einem Ungewitter. Ab und zu war es ihm, als höre er Geschrei und Gesang durch eine Tür, die sich unaufhörlich weit öffnete und wieder schloß; es war, als ob kurze Windstöße ihm abwechselnd das Geschrei eines Blutbades und die Klänge einer Apotheose aus der Ferne zutrügen. Plötzlich sah er, mit der Intensität einer Fiebervision, das verdorrte und verhängnisvolle Land, in dem er die Geschöpfe seiner Tragödie leben lassen wollte; er fühlte in sich den ganzen Durst dieses Landes. Er sah den sagenhaften Brunnen, der einzig die öde Dürre unterbrach, und auf dem zitternden Quell die reine Unschuld der Jungfrau, die dort sterben sollte. Auf Perditas Gesicht fand er das Antlitz der Heldin, in ihrer Schönheit durch einen wunderbar ruhigen Schmerz verklärt. Dann wandelte sich die frühere Dürre der Ebene von Argos in Flammen; der Quell des Perseus flutete wie ein wallender Strom. Das Feuer und das Wasser, die beiden Urelemente, ergossen sich über alle Dinge, löschten alle Zeichen aus, breiteten sich aus, schweiften umher, kämpften, siegten, redeten, fanden das Wort, fanden die Sprache, um ihr innerstes Wesen zu offenbaren, um die unzähligen Sagen Zu erzählen, die aus ihrer Ewigkeit geboren waren. Die symphonische Dichtung drückte das Drama der beiden Urseelen auf dem Theater des Universums aus, den pathetischen Kampf der beiden großen lebendigen und bewegten Wesenheiten, der zwei kosmischen Willensbetätigungen, wie ihn der Hirt Arya sich vorstellte, als er mit unschuldigen Augen auf hoher Ebene die Vorgänge erschaute. Und nun erhob sich aus dem eigensten Mittelpunkt des musikalischen Mysteriums, aus der tiefsten Tiefe des symphonischen Ozeans, die von der menschlichen Stimme getragene Ode und stieg zur höchsten Höhe. Das Beethovensche Wunder erneute sich. Die beflügelte Ode, der Hymnus brach hervor aus der Tiefe des Orchesters, um in gebieterischer Weise die Freude und den Schmerz des Menschen zu singen. Nicht der Chor, wie in der Neunten, sondern die einzelne, die beherrschende Stimme: die Deuterin, die Botin der Menge. »Ihre Stimme, ihre Stimme! Sie ist verschwunden. Ihr Gesang schien das Herz der Welt zu erschüttern; und sie war jenseits des Schleiers« – sagte der Dichter, während er wieder die kristallene Statue vor Augen hatte, in deren Innerem er die Goldader der Melodie hatte aufsteigen sehen. – »Ich will dich suchen; ich werde dich finden; ich werde mich zum Herrn deines Geheimnisses machen. Du sollst, auf den Gipfel meiner Harmonien emporgetragen, meine Hymnen singen.« Jeder unreine Wunsch war von ihm abgefallen, und er betrachtete die Hülle der Jungfrau wie ein heiliges Gefäß, wie die Hüterin eines gottlichen Geschenks. Er hörte, vom Irdischen gelöst, die Stimme aus der Tiefe des Orchesters dringen, um den Teil der urewigen Wahrheit zu künden, der im vergänglichen Tun, im flüchtigen Ereignis lebt. Die Ode begrenzte das zufällige Erlebnis mit Licht. Und nun, gleichsam um den über »das Jenseits des Schleiers« hingerissenen Geist zum Wechselspiele der Erscheinungen zurückzuführen, kündete sich auf dem Rhythmus der sterbenden Ode eine Tanzfigur an. In den viereckigen Ausschnitt der Bühne wie in die Schranken einer Strophe gebannt, ahmte die Tänzerin, für einen kurzen Augenblick dem traurigen Gesetz der Schwere enthoben, mit den Linien ihres Körpers das Feuer nach und das Wasser und den Wirbel und die Bewegung der Sterne. »Die Tanagra, Blume von Syrakus, ganz aus Flügeln bestehend, wie die Blume aus Blumenblättern!« So zauberte er vor sein Auge das Bild der Sizilianerin in ihrem jungen Ruhme, die die antike Tanzkunst wieder auferweckt hatte, wie sie zu der Zeit gewesen war, als Phrynichos sich rühmte, er trage so viele Tanzfiguren in sich, wie das sturmgepeitschte Meer in einer Winternacht Wellen aufrühre. Die Schauspielerin, die Sängerin und die Tänzerin, die drei dionysischen Frauengestalten, erschienen ihm als die vollkommenen und fast göttlichen Werkzeuge seiner Dichtungen. Im Wort, im Gesang, in der Bewegung, im Zusammenklang verkörperte sich mit unglaublicher Schnelligkeit sein Werk und lebte ein übermächtiges Leben vor der ganz und gar bezwungenen Menge.
Er schwieg, in diese
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