Feuer (German Edition)
wollte. Der Saft tropfte heraus und lief über ihr Handgelenk. Ihr ganzer Körper krampfte sich zusammen und vibrierte nur noch um einen feurigen Kern, in dem einzigen Verlangen, zu unterliegen. Von neuem versank sie in dem eisigen Strome, er überflutete sie und machte sie von den Haarwurzeln bis in die Fingerspitzen erstarren, ohne doch den feurigen Kern zu löschen.
»Nun? Sprechen Sie!« drängte der Mann in beinah schroffem Ton; denn er fühlte den Wahnsinn wieder aufsteigen und von weither die Witterung der Orgie zurückkehren.
»Gehen Sie mit den anderen – kommen Sie dann zurück... Ich werde Sie am Gitter des Gradenigo-Gartens erwarten.«
Sie erbebte in dem traurigen Leben der Sinnenlust, die Beute einer unwiderstehlichen Gewalt. Wie in einem Blitze sah er sie wieder hingestreckt, in Schweiß gebadet, zuckend wie die Mänade nach dem Tanz. Sie sahen sich wieder an, aber sie konnten den bestialischen Blick ihrer lüsternen Begierde nicht ertragen. Sie litten. Sie trennten sich.
Sie ging den Stimmen der Dichter entgegen, die ihre ideale Macht entzückt gepriesen hatten.
Sie war verloren; auf ewig verloren. Sie lebte noch, vernichtet, gedemütigt und verwundet, als ob sie mitleidslos mit Füßen getreten worden wäre; sie lebte noch, und die Sonne ging auf, und die Tage fingen wieder an, und die frische Meeresflut strömte wieder in die schöne Stadt, und Donatella lag rein auf ihrem Kopfkissen. In endloser Ferne verlor sich die doch so nahe Stunde, in der sie den Geliebten am Gitter erwartet, seine Schritte in der beinah tragischen Stille der einsamen Straße gehört und gefühlt hatte, wie ihre Knie unter ihr brechen wollten und ihr Kopf sich wieder mit dem schrecklichen Dröhnen anfüllte. Endlos ferne war diese Stunde; und dennoch beharrten, unterhalb des Bebens, das die Liebeszuckungen in ihrem Fleisch Zurückgelassen, die Eindrücke dieser Erwartung mit seltsamer Deutlichkeit in ihr: Die Kälte des Eisens, an das sie ihre Stirn gelehnt hatte, der betäubend scharfe Geruch, der vom Grase aufstieg, die feuchtwarme Zunge von Myrtas Windspielen, die geräuschlos gekommen waren, um ihre Hände zu lecken.
»Leb' wohl, leb' wohl!«
Sie war verloren. Er hatte sich von diesem Bette erhoben wie vom Bette einer Courtisane, beinahe fremd geworden, beinahe ungeduldig, angelockt von der Frische der Dämmerung, von der Freiheit des Morgens.
»Leb' wohl!«
Vom Fenster aus sah sie ihn an der Riva stehen und in kräftigen Zügen die frische Luft einatmen; dann hörte sie ihn mit klarer, ruhiger Stimme in der tiefen Stille nach dem Gondoliere rufen.
»Zorzi!«
Der Mann schlief am Boden der bewegungslosen Gondel; und dieser menschliche Schlaf glich ganz dem Schlafe des Schiffes, das sein eigen. Als Stelio ihn mit dem Fuße berührte, fuhr er aus dem Schlaf empor, sprang nach hinten und packte das Ruder. Der Mann und das Schiff erwachten gleichzeitig, in der nämlichen Bewegung, wie ein zusammenhängender Körper, bereit abzustoßen ins Wasser.
»Ihr Diener, Herr!« – sagte Zorzi mit gutmütigem Lachen, indem er den Himmel, der hell zu werden begann, betrachtete. – »Man merkt's, daß es jetzt Zeit wird, loszurudern.«
Gegenüber dem Palaste wurde die Tür einer Werkstätte geöffnet. Es war eine Steinmetzwerkstatt, in der aus Steinen aus dem Val di Sole Stufen gehauen wurden.
›Um aufwärts zu steigen!‹ dachte Stelio, und sein abergläubisches Herz freute sich der guten Vorbedeutung. Der Name des Bergwerks auf dem Schild schien ihm zu strahlen. Das Bild einer Treppe bedeutete ihm sein eigenes Aufsteigen. Er hatte sie im verlassenen Garten schon auf dem Wappen der Gradenigo gesehen. ›Aufwärts, immer höher aufwärts!‹ Die Freude sproßte allerorten wieder hervor. Der Morgen befeuerte das Wirken der Menschen.
›Und Perdita? Und Ariadne?‹ Er sah sie wieder auf der marmornen Treppe, beim Lichte der qualmenden Fackeln, so eng aneinander geschmiegt in dem Gewühl, daß eine mit der andern verschmolz in demselben leuchtenden Weiß, beide Versucherinnen hervorgegangen aus der Menge, wie aus der Umarmung eines Ungeheuers. ›Und die Tanagra?‹ Die Syrakuserin mit den langgeschnittenen Augen schien ihm in der Ruhe mit der Mutter Erde verwachsen, wie die Figur eines Basreliefs mit der Fläche, in die sie gemeißelt ist. ›Die dionysische Dreieinigkeit!‹ Er stellte sie sich vor, losgelöst von jeder Leidenschaft, frei von allem Bösen, wie die Schöpfungen der Kunst. Die Oberfläche seiner Seele
Weitere Kostenlose Bücher