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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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verdorben er sie hielt, von Liebe beschwert, in allen Lüsten erfahren, eine umherirrende, unersättliche Versucherin. Sie erriet den dumpfen Groll, die Eifersucht, das schändliche Fieber, das sich plötzlich in dem sanften Freunde entzündet hatte, dem sie so lange Zeit hindurch all ihr Bestes und Edelstes gewidmet hatte, den Wert ihrer Gaben durch ein hartnäckiges Verbot verteidigend. Alles war jetzt verloren, alles war plötzlich verwüstet, wie ein schönes Reich in der Gewalt rebellischer, rachsüchtiger Sklaven. Und wie in der letzten Agonie, wie im Augenblick des Verscheidens, übersah sie ihr ganzes hartes und stürmisches Leben, ihr Leben voll Kampf und Schmerz, voll Irrungen und Wirrungen, voll Leidenschaft und Triumph. Sie fühlte seine Schwere und seine Hemmungen. Sie erinnerte sich des unauslöschlichen Gefühls von Freude, von Schreck und von Befreiung, das sie empfunden, als sie sich zum erstenmal dem Manne hingegeben hatte, der sie, in ferner Jugendzeit, betrogen hatte. Und mit wildem, stechenden Schmerze trat vor ihre Seele das Bild der Jungfrau, die sich zurückgezogen hatte, die verschwunden war, und die vielleicht dort oben in dem einsamen Zimmer träumte oder weinte oder sich schon angelobte und hingestreckt dalag und sich freute, daß sie sich angelobt hatte. »Es ist spät, zu spät!« Das unwiderrufliche Wort schien ihr unaufhörlich im Gehirn zu dröhnen wie das Tönen der ehernen Glocke. Und sein Wunsch traf sie wie eine tödliche Verwundung.
    »Oh, tun Sie mir nichts zuleide!«
    Sie flehte, weiß und zart wie der Schwanenflaum, der ihre nackten Schultern und ihre bebende Brust umsäumte. Ihre Kraft schien von ihr genommen, schwach und wehrlos schien sie zu werden, und eine geheime zarte Seele schien in sie eingezogen zu sein, die gar leicht zu toten, zu zerstören, ohne Blutvergießen hinzuopfern war.
    »Nein, Perdita, kein Leid!« – stammelte er, plötzlich erschüttert von dieser Stimme, und vor diesem Anblick bis ins Innerste ergriffen von einem menschlichen Mitleid, das aus derselben Tiefe stammte, aus der jener wilde Trieb hervorgebrochen war. – »Verzeihen Sie mir, verzeihen Sie mir!«
    Er hätte sie in seine Arme nehmen, sie wiegen, sie trösten mögen, er hätte sie weinen sehen mögen und ihre Tranen trinken. Es schien ihm, als ob er sie gar nicht kannte, als hätte er vor sich ein fremdes, unendlich demütiges und schmerzensreiches, ganz widerstandsloses Wesen. Und sein Mitleid und seine Reue glichen ein wenig dem Gefühl, das man empfindet, wenn man, ohne es zu wollen, einen Kranken, ein Kind, ein kleines unschuldiges, einsames Geschöpf gekränkt oder verletzt hat.
    »Verzeihen Sie mir!«
    Er hätte vor ihr niederknien, ihre Füße im Grase küssen, irgendein kindisches Wort sagen mögen. Er beugte sich nieder, er berührte ihre Hand. Sie zuckte vom Kopf bis zu den Fußspitzen/ sie sah ihn mit weitgeöffneten Augen an; dann senkte sie die Augenlider und blieb unbeweglich. Der Schatten unter den Wimpern wurde tiefer, er zeichnete die sanftgeschwungene Linie der Wangen. Von neuem versank sie in dem eisigen Strom.
    Man hörte die Stimmen der Gäste sich im Garten zerstreuen; dann entstand eine große Stille. Man hörte den Kies unter einem Fuße knirschen; dann wieder die große Stille. Undeutliches Lärmen kam aus der Ferne von den Kanälen. Es schien plötzlich, als ob der Jasmin starker dufte, wie ein Herz seine Schläge beschleunigt. Die Nacht schien trächtig von Wundern. Die ewigen Kräfte walteten in Harmonie zwischen Erde und Sternen.
    »Verzeihen Sie mir! Wenn mein Wunsch Sie leiden macht, dann will ich ihn noch einmal ersticken; ich werde es noch einmal über mich gewinnen, zu verzichten, Ihnen zu gehorchen, Perdita, Perdita, ich will alles vergessen, was Ihre Augen mir sagten, dort oben, bei all den nutzlosen Worten ... Welche Umarmung, welche Liebkosung könnte uns je inniger vermischen? Die ganze Leidenschaft der Nacht hetzte uns und warf eins dem andern zu. Ich habe Sie ganz in mich aufgenommen, wie ein Meer... Und jetzt scheint es mir, als könnte ich Sie nicht mehr von meinem Blute trennen, und als könnten auch Sie sich nicht mehr von mir losreißen, und als sollten wir gemeinsam irgendeiner Morgenröte entgegengehen ...«
    Er sprach demütig, strömte sich ganz in seinen Worten aus, ein vibrierendes Gefäß, das von Augenblick zu Augenblick alle wechselnden Empfindungen des dunkelnächtigen Geschöpfes aufzunehmen schien. Er sah vor sich nicht mehr eine

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