Feuer: Roman (German Edition)
vollkommen. Mond und Sterne waren hinter einer geschlossenen Wolkendecke verschwunden, und das einzige Licht am Himmel war der Widerschein des Feuers; ein schmieriger blassroter Fleck im Norden, der keine nennenswerte Helligkeit spendete.
Der Garten war nicht vollkommen dunkel. Die Schmidts schienen Kunstliebhaber zu sein: Will entdeckte hier und da die geschwungenen Linien steinerner Plastiken und anderer moderner Kunstwerke, die von unsichtbar angebrachten Scheinwerfern in akzentuiert arrangiertes Licht getaucht wurden, aber diese verschwommenen Inseln aus blasser Helligkeit schienen die schwarzen Abgründe dazwischen nur noch zu vertiefen. Es war unmöglich zu schätzen, ob die Entfernung bis zum Haus zwanzig, fünfzig oder hundert Meter betrug.
Er würde es auch nicht herausfinden, wenn er noch länger hier herumsaß und in die Dunkelheit starrte.
Vielleicht war es die Erkenntnis, dass er schlicht und einfach Angst vor seiner eigenen Courage hatte, die ihm schließlich die Kraft gab, ganz aus seinem Versteck herauszutreten und sich dem Haus zu nähern. Will war niemals ein besonders mutiger Mann gewesen, und er kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass er nur lange genug abwarten musste, um schließlich aufzugeben und wieder über den Zaun zu steigen und davonzulaufen. Er konnte nicht mehr zurück. Wenn er jetzt aufgab, dann endgültig.
Langsam und mit äußerster Vorsicht näherte er sich dem Haus. Soweit er das bei der herrschenden Dunkelheit erkennen konnte, handelte es sich um einen lang gestreckten Bungalow, der allein auf Grund seiner enormen Größe beinahe das Attribut Villa verdiente, aber sehr viel mehr konnte er nicht darüber sagen. Das Gebäude lag in völliger Dunkelheit. Hinter keinem einzigen Fenster brannte Licht. Die Schmidts gingen entweder mit den Hühnern zu Bett, oder waren nicht da.
Will erreichte unbehelligt die Terrasse und hätte innerlich am Liebsten gejubelt, als er eine große verglaste Schiebetür entdeckte, die eigens für Leute wie ihn gemacht worden zu sein schien. Vorsichtig näherte er sich ihr, kramte in den Jackentaschen, bis er sein Feuerzeug fand, und ließ die winzige Flamme aufflackern. Eine Taschenlampe wäre ihm lieber gewesen und ein Phasenmesser noch mehr, aber er erkannte auch im unsicheren Licht der Feuerzeugflamme, dass die Terrassentür entweder gar nicht oder besonders raffiniert gesichert war. Keine Kontakte, keine Alarmdrähte. Was nichts bedeutete – aber nach den Erfahrungen, die er mit dem Zaun gemacht hatte, tippte er eher auf gar nicht. Wenn die Schmidts wirklich die waren, für die er sie hielt, dann waren sie anscheinend genauso leichtsinnig wie durchgeknallt.
Das Feuerzeug in seiner Hand wurde heiß genug, um ihm die Finger zu verbrennen. Will ließ die Flamme erlöschen und drehte es ein paar Augenblicke in den Händen, um es abkühlen zu lassen, während er darauf wartete, dass sich seine Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnten. Schließlich steckte er das immer noch heiße Feuerzeug ein und tastete mit den Fingerspitzen über den Fensterrahmen.
Er brauchte nur einen Moment, um die Schwachstelle zu finden; und nur wenig länger, um die Tür auf eine Weise zu entriegeln, von der ihre Konstrukteure nicht einmal in ihren schlimmsten Albträumen etwas ahnten. Das Geräusch, mit dem die Aluminiumtür in ihrer Führung zur Seite glitt und ihm Einlass gewährte, war deutlich lauter als das, mit dem er sie aufgebrochen hatte.
Will trat mit angehaltenem Atem durch die Tür. Es gab keine Vorhänge, aber von draußen strömte so gut wie kein Licht herein. Er konnte erkennen, dass das Wohnzimmer sehr groß war, wie das ganze Haus, aber das war auch schon alles. Die Einrichtung präsentierte sich ihm als unregelmäßiges Muster gedrungener formloser Schatten. Das Haus war vollkommen still.
Will schob die Tür gerade weit genug auf, um hindurchzuschlüpfen, und schloss sie hinter sich sorgfältig wieder. Einige Sekunden lang blieb er mit nun wirklich angehaltenem Atem und geschlossenen Augen stehen und lauschte. Das Einzige, was er hörte, war das Geräusch seines eigenen Pulsschlages. Wenn er jemals in einem leeren Haus gewesen war, dann in diesem.
Das Licht flammte auf. Will hob die Hand vor die Augen, blinzelte zwischen seinen Fingern hindurch und revidierte seine vielleicht doch etwas vorschnell gefasste Meinung: Das Haus war leer bis auf eine junge Frau mit hüftlangem platinblondem Haar und zwei nicht sehr viel älteren Burschen, die dunkle
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