Feuer um Mitternacht
ich weniger Glück.
Der erste, den ich fragte, war Gast, kannte sich nicht im Ort aus. Täte ihm leid... Eine ältere Frau, die vornübergeneigt ging und ein Tuch um die Mundpartie geschlungen hatte, bedeutete mir durch Zeichensprache, daß man ihr gerade alle Zähne gezogen hatte. Sie konnte nicht reden... Der dritte wußte es, ein Mann mit blaurotem Gesicht. „Geradeaus bis zur zweiten Kreuzung, rechte Querstraße, linke Seite, zweites Haus.“ Er hob zusätzlich noch seinen Handstock, streckte ihn wie einen Wegweiser in die Richtung, als traue er mir zu, daß ich sonst im Kreis herumirren würde.
Er wuchtete sich hinter seinem Schreibtisch hervor, stampfte auf mich zu, zerquetschte mir fast die Hand und dröhnte: „Tackert!“
„Bank.“
Er war ein Goliath und lächelte wie ein Kind. Seine Stimme schien aus einem Kanalisationsschacht zu kommen. Auf einem Fahrrad mußte er eine komische Figur abgeben, und der grünweiße Polizeikombi vor dem Haus ging bestimmt in die Knie, sobald er sich hinter das Steuer wälzte. Aber inmitten von ängstlichen und ratlosen Menschen würde er ein Fels in der Brandung sein.
Wir gingen in seine Privatwohnung hinüber, um ungestört und bei einem Cognac — einem guten, wie er mir versicherte — , unsere Sache zu bereden. Zuerst kamen die Sätze, die man so herausplätschert, wenn zwei Kollegen der gleichen großen Berufsfamilie sich zum ersten Mal treffen. Ich erfuhr, daß er aus einer Gegend südlich der Elbe hier angeschwemmt worden war und bereits zwölf Jahre lang seinen Dienst in Tarrafal versah. Bisher ohne einen Fall von Brandstiftung, wie er betonte. Er wolle bis zu seiner Pensionierung hierbleiben — lieber verzichte er auf Beförderung. Die Inselsprache, in der die Einheimischen immer noch kauderwelschten, habe er nicht lernen können. Trotzdem käme er mit den Leuten gut zurecht. Verheiratet, ein einziges Kind, ein Mädchen. In der Saison rücke man zusammen, damit die Frau an Feriengäste vermieten könne. Das täten hier alle — er lächelte entschuldigend.
Danach kamen wir zur Sache. Er fischte eine lange Pappröhre aus der Ecke, zog den Deckel ab, schüttelte den Inhalt auf den Tisch.
„Zwei Pfeile, zwei Karten mit roten Hähnen — das ist alles, was ich in der Hand habe“, sagte er. „Die Leute haben ein Schreckgespenst daraus gemacht, das von Mal zu Mal unheimlicher wurde. Geheimhalten läßt sich in diesem Dorf nichts“, fügte er gespielt grimmig hinzu.
Zwei rote Hähne! Bis jetzt die einzigen Zeugen dafür, daß mehr als ein Unglück vermutet werden konnte: Verdacht auf Brandstiftung.
Ich hatte nun die stummen Zeugen zu befragen, mußte an ihnen herumrätseln: Fingerabdrücke? Bestimmt zu viele! Würde kaum weiterhelfen. Nach dem Schützen waren Pfeile und Karten wahrscheinlich von vielen Händen berührt worden: von Sönderup, seiner Frau, den Nachbarn. Auch Tackert hatte sie in der Hand gehabt. Und Peter Sönderup konnte mir nicht mehr mitteilen, wem er diese Dinge gezeigt hatte.
„Hat Sönderup Ihnen erzählt, wem er diese Rote-Hahn-Pfeile noch zeigte?“
„Das hat er nicht. Aber es ist wahrscheinlich, daß er sie anderen zeigte. Mich benachrichtigte er erst zwei Stunden nach den Funden.“
Trotzdem! Ich machte mich mit meinem Reisebesteck an die Arbeit. Tackert beobachtete mein Tun, als hätte er einer Zigeunerin auf die Finger zu schauen.
Ich hatte ein Netzwerk von Fingerabdrücken erwartet — besonders auf den glatten Karten. Aber was ich auch erwartete, das nicht: keine Abdrücke!
„Gar nichts!“ sagte ich und schaute Tackert verblüfft an. „Es hätten doch Fingerabdrücke drauf sein müssen. Abgewischt!“
„Versteh ich nicht“, sagte Tackert hilflos.
„Ich auch nicht“, gab ich wahrheitsgemäß zu.
Wann und warum? Alle Abdrücke abzuwischen entbehrte der Logik — wenigstens im Sinne des Täters. Wann? Bevor Sönderup seine Funde an Tackert weitergab? In Tackerts Amtszimmer? Unwahrscheinlich!
„Sie haben die Sachen doch unter Verschluß gehabt?“
„Natürlich“, bestätigte er, „drüben im Schrank meines Amtszimmers. Den Schrank hielt ich immer verschlossen, wenn ich nicht im Zimmer war. Ich habe die Pappröhre erst kurz vor Ihrer Ankunft herausgenommen und in diesem Raum bereitgestellt.“
Ich wollte später darüber nachdenken. Vorläufig war es für mich das zweite Anzeichen dafür, daß etwas faul war. Die Pfeile. Ich schob sie mit den Fingerspitzen nebeneinander. Fast gleich lang, etwa achtzig
Weitere Kostenlose Bücher