Feuer um Mitternacht
mir meine Tochter nie verziehen. Der Dorfpolizist... Das verstehen Sie wohl nicht... Jumbo...“
„Jumbo?“
„Nichts, was Sie interessieren könnte, Herr Bank.“
Ich verstand den Kollegen Tackert besser, als er glaubte. Ich hatte auch meine Berufsprobleme.
Er lächelte verlegen und fuhr fort: „Ich habe ihnen gut zugeredet, wenn sie ihre Feuerchen an den falschen Plätzen machten. Genützt hat es nicht. Ich habe sie nach Hause geschickt, wenn sie zu spät noch im Dunkeln herumstreunten. Ich habe auf die andere Seite geschaut, wenn sie Birnen und Äpfel klauten, die doch keiner erntete. Und ich habe sie zusammengestaucht, wenn ich sie ohne Licht auf den Fahrrädern erwischte. Sie wuchsen heran, Herr Kollege, während man uns einen Stern nach dem anderen gab... Markus war gewitzter als die meisten — ein Anführer, dem man gern folgte. Meine Tochter sagt, Markus ist ein heller Kopf, der mühelos lernt. Titus Unschlitt, der Vater, war ein unsteter Mensch, dem die Leute gern verziehen. Ein Luftikus, der in keinem Beruf Fuß fassen konnte. Gab das Geld mit leichter Hand aus — manchmal mehr, als er verdiente, wurde gesagt. Es ging auf Kosten der Frau. Weibergeschichten gab es auch, aber nicht hier im Dorf. Der Junge
liebte und bewunderte seinen Vater. Und das muß zu Titus Unschlitts Gunsten gesagt werden: Mit seinem Sohn beschäftigte er sich viel, überraschend viel für einen Mann, der sich selbst der Nächste war. Sie segelten, wanderten, fischten — genau das, was Kindern Abenteuer verschafft. Ja, und dann geschah es: Titus Unschlitt erhängte sich vor einem knappen halben Jahr in Hageldorns Kastanie genau vor Peter Sönderups Wohnzimmerfenstern. Selbstmord! Nicht dran zu rütteln. Ich selber habe ihn abschneiden müssen. Warum er seinem Leben so plötzlich ein Ende setzte, weiß niemand. Aber es wurde viel darüber geredet: von Geld und Schulden bei Peter Sönderup. Gerede! Titus Unschlitt war nicht der Mann, der sich um Schulden allzu große Sorgen machte. Warum er sich ausgerechnet die Kastanie für seinen Selbstmord aussuchte, ist nicht zu erklären. Die Leute wollten Peter Sönderup eine geheime Schuld andichten. Ein Abschiedsbrief wurde nicht aufgefunden. Wucherzinsen, sogar Erpressung — die unmöglichsten Gerüchte gingen um. Ich hörte einiges, obwohl die Leute mir gegenüber vorsichtiger mit den Worten umgingen. Ich habe ihnen nahegelegt, daß sie besser den Mund hielten, wenn sie nicht eine Anzeige wegen Verleumdung riskieren wollten. Sie wissen ja selber: Gerüchte wachsen wie Unkraut; wenn man es an einer Stelle ausrupft, wuchert es zwei Schritte davon entfernt ungebrochen weiter. Niemand hat selber etwas gesagt — nur gehört. Von irgend jemand . Von wem denn noch.. ?
Wenn man nachfragt, weist ihr Gedächtnis gerade an dieser Stelle eine Lücke auf... Mir ist dieser Selbstmord unerklärlich; aber das Dorfgeschwätz trifft die wahren Gründe bestimmt nicht. Bald nach Titus Unschlitts Tod begannen diese Streiche, die man Peter Sönderup spielte: des Nachts geheimnisvolles Geklopfe, zerbrochene Fensterscheiben, einen umgesägten Birnbaum im Garten, ein Wetterhahn verschwand vom Hausdach und zuletzt dann diese Pfeile mit den roten Flähnen .“
Und zum Abschluß ein Feuer mit einem Toten! fügte ich in Gedanken hinzu.
„Erstattete Sönderup Anzeige?“ fragte ich.
„Zunächst nicht. Erst bei der Wetterhahn-Geschichte lief ihm die Galle über, und es gab eine Anzeige gegen Unbekannt.“
„Und fanden Sie etwas heraus?“
„Nichts.“
Du wirst dir auch keine sonderliche Mühe gegeben haben! dachte ich.
„Haben Sie Markus Unschlitt befragt?“
„Ja. Markus behauptet fest, er sei es nicht gewesen.“
„Glaubten Sie ihm?“
„Ich konnte ihm nichts nachweisen. Also mußte ich ihm glauben“, sagte Tackert steif. „Kriminalistische Recherchen sind nicht meine Stärke. Sie wissen ja — ich bin bloß Dorfpolizist.“
„Schon gut“, besänftigte ich ihn.
Die Tür ging auf, und ein zierliches Mädchen wehte ins Zimmer. Sie hielt sich nicht lange mit der Vorrede auf. „Vati, ich brauche Geld für einen Zeichenblock.“
„Meine Tochter Sylvie.“ Tackert sagte es zärtlich. Dann wühlte er in seiner abgegriffenen Börse herum und legte ihr ein Geldstück in die Hand. Das Mädchen ließ ihre flinken Augen herumgehen — über den Tisch mit den ausgebreiteten Gegenständen, über mich. Dann hauchte sie dem Riesen einen Kuß in den Nacken, nickte mir zu, tänzelte wieder hinaus.
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