Feuer um Mitternacht
zurechtgelegt hast. Wenn du ihm ein kleines Loch läßt, wird er darin herumbohren.
Ich fing langsam und beinahe bedächtig an zu erzählen, begann mit meinen Nachtwachen in Hageldorns Kastanie, erklärte ihm, wie gut der Platz war, weil ich Sönderups Haus und die Straßen überschauen konnte. Ich erwähnte, daß sich die Einheimischen bei Dunkelheit an der Kastanie Vorbeidrückten. Ich gab meine Hin- und Rückschleichwege preis, schilderte, was ich durch Peter Sönderups Wohnzimmerfenster beobachtete. Er sollte glauben, daß ich alles auspackte, was ich wußte. Um so besser konnte ich verbergen, was er nicht erfahren durfte. Ich beschrieb ihm den Bau von Pfeil und Bogen und meine Schwierigkeiten mit den Pfeilen und deren Erprobung. Ich führte ihn mit meinen Worten an eine einsame Stelle des Süderhaffs — ohne Sylvie natürlich ich ließ ihn miterleben, wie ich zielte und schoß und von Zeit zu Zeit über den Deich schaute, ob ich mit ungebetenen Zuschauern rechnen mußte. An dieser Stelle meines Berichts schob ich gleich ein, daß ich bei den Probeschüssen eine Rote-Hahn-Karte ruiniert hätte, machte ihm mit beiden Handflächen vor, wie man Bogen und Pfeil ausrichten mußte, damit die Karte nicht beim Schuß hakte. Und eben das sei mir passiert! Ich hätte nur drei Karten vorbereitet gehabt und mir darum eine Ersatzkarte drucken müssen. Den ersten Kartoffelstempel hätte ich bald vernichtet, weil er eingetrocknet und nicht mehr zum Druck zu verwenden gewesen wäre. Ich fertigte einen neuen an. Der erste Hahn wäre mir besser gelungen — fast ein halbes Dutzend Kartoffeln wären dabei draufgegangen... (Schade, daß Sylvie nicht miterleben konnte, wie ich sie herauslog.) Mit dem Ersatzhahn hätte ich mir dann nicht mehr so viel Mühe gemacht. Dementsprechend sei er ausgefallen. Eine Mischung aus Lüge und Wahrheit, die er nicht nachprüfen konnte.
Und keinen Hinweis auf Sylvie...
Ohne mich zu unterbrechen, hatte Graueule mir aufmerksam zugehört.
„Hast du diese letzte Rote-Hahn-Kartoffel noch aufbewahrt? Könntest du sie mir zeigen?“
„Nein“, sagte ich. „Kann ich nicht. Die hab’ ich zerschnippelt und durch den Lokus gespült.“
„Du arbeitest ziemlich gründlich, scheint mir“, murmelte er. „Und ich habe mir fest eingebildet, daß zwei verschiedene Personen diese Hähne fabriziert haben müßten... Herr Rückert, dein Zeichenlehrer, hielt das auch für wahrscheinlich, wollte sich aber nicht festlegen. Ich habe ihn gestern in seiner Wohnung befragt. — Ist Sylvie Tackert deine Freundin? Du hast doch sicher schon eine Freundin, Markus?“
Was fiel ihm ein, nach Sylvie zu fragen! Von Tante Lene hatte er bestimmt kein Wort über unsere Freundschaft gehört. Sie wußte es. Und von Jumbo auch nicht... Von wem...?
„Ich habe keine Freundin“, sagte ich und versuchte dabei, die Wut zu verbergen, die ich hatte. „Jedenfalls noch keine feste. Natürlich kenn’ ich Sylvie Tackert von der Schule her. Sie geht in die Klasse unter mir.“
Er blieb stehen, bohrte mit einer Hacke im Sand herum.
„Die fehlenden Fingerabdrücke auf den Rote-Hahn-Kar-ten... dafür kannst du mir wohl keine passende Erklärung anbieten?“
„Nein.“
„Hast du mir wirklich alles erzählt?“
„Ja.“
Bei dieser elenden Fingerabdruckgeschichte hatte ich von Anfang an kein gutes Gefühl gehabt. Jetzt mußte ich stur den Ahnungslosen spielen; denn jedes Wort zuviel zeigte auf Sylvie. Das war keine glückliche Idee von ihr gewesen. „Du verstehst dich ziemlich gut auf Fenster und nächtliche
Ausflüge. Du bist doch wohl nicht bei Polizeimeister Tackert eingestiegen und hast die Fingerabdrücke auf den Karten abgewischt?“
Halb nach Spaß und halb nach Ernst hörte sich das an. Allzuweit war Graueule nicht von der Wahrheit entfernt. „Quatsch!“ tat ich empört. „Ich bin kein Einbrecher. Und was weiß ich schon von Fingerabdrücken!“ Hoffentlich gab er nun Ruhe.
„Gut. Lassen wir das. Vielleicht findet sich irgendwann noch eine Erklärung dafür... Markus, du glaubst wohl, du hättest dir immer alles gut überlegt?“ — Ja.“
Was sollte das?
„Du hast den alten Sönderup gehaßt?“
„Ja.“
„Und ist dir nie der Gedanke gekommen, daß du ihm möglicherweise Unrecht tatest?“
War mir dieser Gedanke gekommen? Damals, als ich mit Tante Lene darüber sprach? Ich konnte ihr nicht glauben. Und ich konnte auch nicht ahnen, was später geschah. „Nein“, sagte ich.
„Weil du glaubtest, er sei
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