Feuer um Mitternacht
undeutlich. Erkennen konnte ich ihn nicht.“
„Hier — mach ein Kreuz, wo du ihn sahst.“ Er hielt mir das Notizbuch unter die Nase, drückte mir den Kugelschreiber in die Hand.
Ich malte mein Kreuz: an Hageldorns Ecke der Straßenkreuzung. Da saß es am günstigsten...
„Sahst du die Person von vorn? Oder von hinten?“
„Von der Seite. Er verschwand hinter Hageldorns Hausecke.“
„Du sagst ,er’ . Bist du sicher, daß es ein Mann war?“
„Es war ein Mann. Bestimmt.“
„Du hast ihn nicht erkannt, behauptest du. Dein Fernglas war dir ja aus der Hand gefallen. Trotzdem bist du sicher, daß es ein Mann war?“
Herrgott, wie der einen in die Mangel nehmen konnte! Schon wieder eine Klippe: Ich wollte zugeben, daß ich jemand sah, nur nicht, daß ich ihn erkannte!
„Ich sah Hosenbeine, und er ging wie ein Mann. Frauen gehen anders.“
„Ist dir sonst etwas aufgefallen? Trug er einen Hut?“
„Hut? Nein, Mütze, glaub ich.“
„Noch etwas?“
„Er schwankte ein bißchen, kam mir vor.“
„Betrunken vielleicht?“
„Weiß nicht. Kann auch der Wind gemacht haben. Ich sah ihn ja nur wenige Augenblicke.“
„Ein Zigarrenstummel und ein Mann ohne Gesicht...“, murmelte Graueule vor sich hin.
„Wohin ging er?“
„Ich sagte schon — er verschwand hinter Hageldorns Hausecke. Ging in Richtung Kirche.“
„An der Kastanie ist er nicht vorbeigekommen?“
„Nein, dann hätte ich ihn bestimmt bemerkt.“
„Und aus welcher Richtung, meinst du, kam er?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Da er nicht an der Kastanie vorbeikam, kann er nicht vom Kliff her gekommen sein. Und weil er die Richtung nach Westen zur Kirche hin nahm, bleiben nur zwei Richtungen übrig. Ich müßte raten, denn ich weiß es nicht.“
Wir brachten den zweiten Zaun hinter uns. Tarrafal rückte näher. Und die Fragen, die er mir noch stellen konnte, wurden weniger. Noch nie in meinem Leben hatte ich so viele Fragen in so kurzer Zeit beantworten müssen. Und er fing schon wieder an...
„ Wieviel Zeit kann vergangen sein von dem Augenblick an, als du die Zigarrenglut zuerst entdecktest, bis du den Mann verschwinden sahst?“
„Eine — bestimmt nicht mehr als zwei Minuten“, sagte ich, nachdem ich kurz überlegt hatte.
„Und danach bist du sofort vom Baum heruntergeklettert?“
„Ja. Das heißt — ich versuchte es.“
„Erzähl mir genau, was dann geschah.“
„Ich versuchte so schnell wie möglich nach unten zu steigen. Aber es ging nicht, wie ich wollte. Ich hakte mit dem Anorak über einen Aststummel und blieb hängen. Diesen Stummel benutzte ich sonst immer als Handgriff. Es gab ein Loch. Hier —“ Ich drehte ihm meinen Rücken zu. „Sie können die Stelle sehen. Tante Lene Steenkamp hat sie geflickt. — Es dauerte eine Weile, bis ich mich losfummeln konnte „Wie lange, bis du unten warst?“
„Zwei Minuten wohl. Mir kam’s lange vor. Unten habe ich noch nach dem Fernglas gesucht.“
„Und was dann? Weiter!“
„Ja, dann rannte ich durch die Nordpforte, und an der Wallecke sah ich dann den Feuerschein und Flammen hinter dem Giebel, hohe Flammen. Und jetzt bekam ich Angst: Sönderups Haus brannte! Und ich war allein! Ich weiß nicht, was ich noch alles dachte. Daß ich in der Kastanie gesessen hatte... Daß mich keiner sehen durfte... Daß man mir die Schuld an dem Feuer geben würde. Und dann fielen mir die beiden Sönderups in ihrem Giebelzimmer ein. Ich rannte durch die Pforte, klingelte an der Tür, sah einen Stein, nahm ihn, warf ihn durch das Schlafzimmerfenster. Er traf! Es klirrte! Davon mußten sie wach werden. Ich lief los, bog an der Kreuzung links ab und dann immer geradeaus durch die Allee. Dann heulte die Feuersirene los, und sie verfolgte mich, bis ich zu Hause ankam.“
Es reichte ihm noch nicht. Er holte sich in seinem Notizbuch Rat, und ich mußte ihm noch haarklein berichten, wen und was ich zwischen halb elf und Viertel vor zwölf gesehen und gehört hatte. Ich fing mit Jumbo Tackert an... Und ich erzählte alles, bis auf ein Ereignis. Er ließ mich reden, versuchte nur immer wieder Uhrzeiten aus mir herauszuschütteln. Ich gab sie ihm. So genau, wie es mir möglich war. Als wir zwischen Bäcker Franzen und dem neuen Freibad den Sandweg hinaufstiegen, war ich wieder bei Viertel vor zwölf angelangt.
Mit diesem letzten Bericht war Graueule Bank anscheinend sehr zufrieden. Er stellte noch eine Frage.
„Markus, in deinem Bericht sind zwei Leute in zwei Häuser
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