Feuer und Eis
sich nicht zu rechtfertigen, dass er an einem Freitagabend eine Party veranstaltete.
Das Problem war nur, dass in diesem Haus fast jeden Tag Partys stattfanden.
Karin tat so, als schließe sie die schwere Eichentür mit ihrem Schlüssel auf, obwohl sie in Wirklichkeit offen war – weder Matthew noch seine Freunde verschwendeten auch nur einen Gedanken daran abzuschließen. Das Haus stand jedem reichen Versager offen, der bis in die Morgenstunden feiern wollte.
Während Karin sich einen Weg zwischen unzähligen leeren Flaschen und ihr fremden Menschen bahnte, fiel es ihr immer schwerer zu glauben, dass sie vor gar nicht langer Zeit noch in einem Luxushotel diniert hatte.
„Die gehen bald“, begrüßte Matthew sie. Er sah aus wie ein Zombie, als er über weitere Schnapsleichen stolpernd auf sie zukam.
Aber Karin wusste genau, dass sie nicht gehen würden.
Aus Freitag wurde Samstag, dann folgte das übliche Muster. Am Sonntag, spätestens Montag, würden die Entschuldigungen einsetzen, anschließend das Großreinemachen, was aber nur dafür sorgte, dass das Karussell sich am Freitagabend wieder zu drehen begann.
Karin wusste es, weil es ihr ganzes Leben so gewesen war.
„Morgen gehen sie, dann werde ich hier mal richtig aufräumen.“
Es war so erbärmlich, dass sie schrill auflachen musste. „Sie gehen, wenn sie die letzten Flaschen im Keller ausgetrunken haben und die Essensvorräte, die ich eingekauft habe, leer sind. Und wenn sie sich in meinem Bett ausgeschlafen haben, Matthew.“ Sie fuhr sich mit der Hand über Stirn und Kopf. „Ich kann so nicht mehr leben.“
„Dann kannst du ja ausziehen“, schlug ihr Bruder dreist vor. „Ich habe es ohnehin satt, mir ständig dein demonstratives Leiden anzusehen. Es ärgert mich, wie du mich in Verlegenheit bringst und meine Freunde schlecht machst. Wenn du es so sehr hasst, hier zu leben, dann verschwinde doch!“
Denn genau das wollte er.
Und in kurzen Momenten der Schwäche wollte Karin es auch: gehen und aus sicherer Entfernung zusehen, wie Matthew nach und nach alles verkaufte. Gehen und alles, was ihr Großvater aufgebaut hatte, zurücklassen, verlieren.
Zehn Monate.
Sie zählte die Tage, die Minuten, bis zum Ende von Emilys Schuljahr.
Denn obwohl Karin vor langer Zeit herausgefunden hatte, dass Geld rein gar nichts bedeutete, wusste sie doch nur zu gut, dass Emily sehr unter den Hänseleien der anderen Schüler zu leiden haben würde, sobald der finanzielle Status der Wallis’ an die Öffentlichkeit gelangte.
Längst hatte es freundliche Ermahnungen gegeben, die Überweisung des Schulgeldes stehe noch aus. Nur aus diesem Grund hatte sie ja dem Verkauf von weiteren Kleinigkeiten zugestimmt. Wenn es ihr gelang, noch zehn Monate durchzuhalten, konnte sie Emily so schonend wie möglich die Wahrheit über ihre Familie beibringen.
Karin ging nach oben. Schon wieder wälzte sich ein fremdes Pärchen in ihrem Bett. Der Geruch ihres amourösen Abenteuers erfüllte die Luft. Am liebsten hätte sie sich übergeben. Barfuß rannte sie wieder nach unten, wobei sie die anzüglichen Worte eines von Matthews angeblichen Freunden ignorierte, der auf der Treppe saß. Er grabschte nach ihrem Fuß und wiederholte sein lüsternes Angebot. Karin antwortete ihm sehr detailliert, was er mit seinem Vorschlag machen konnte. Sie schüttelte seine Hand ab und hastete den Flur entlang zur Bibliothek, zu der nur sie den Schlüssel besaß.
Dies war der einzige Raum im Haus, der noch wie zurzeit ihres Großvaters aussah.
Schon früher war sie immer hierher geflüchtet. Als ihr Großvater noch in diesem Haus lebte, hatten sie und ihre Geschwister oft die Wochenenden hier verbracht. Während ihre Großmutter das Essen zubereitete, schlief Emily friedlich in ihrer Wiege. Matthew machte es sich vor dem Fernseher gemütlich. Aber Karin mochte die Bibliothek am liebsten. All die Medaillen und Trophäen aus Großvaters Rugbytagen waren hier ausgestellt. Sie liebte es, zu seinen Füßen zu sitzen und den alten Geschichten aus seinen glorreichen Tagen zu lauschen.
Nach dem Tod ihrer Großeltern, als ihre Familie in Omberley Manor eingezogen war, blieb die Bibliothek Karins Zuflucht. Hier konnte sie sich stundenlang in einem Buch verlieren und die Realität vergessen, die jenseits der alten Eichentür tobte.
Den Zeitungen zufolge führte sie ein großartiges Leben: Ihre Mutter, die perfekte Ehefrau und Gastgeberin unzähliger Wohltätigkeitsveranstaltungen, ihr Vater ein
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