Feuer Und Stein
mich gedankenvoll musterte und dann sagte: »Gut, Mädchen, warum nicht?«
Das Wentworth-Gefängnis war fünfunddreißig Meilen entfernt - zwei Tage mühsame Plackerei über morastige Wege in eisiger Kälte. Nicht lange . Dougals Worte waren mir ständig im Ohr und hielten mich im Sattel, auch wenn ich vor Erschöpfung schon fast herunterfiel.
Um mir nicht ständig Sorgen um Jamie zu machen, ging ich in Gedanken noch einmal das Gespräch mit Dougal in der Höhle
durch. Ich dachte daran, was er zu mir gesagt hatte, als er vor der Höhle stand, während Rupert und seine Leute die Pferde aus dem Versteck holten.
»Ich habe eine Botschaft für dich«, hatte er gesagt. »Von der Hexe.«
»Von Geillis?« Ich war erstaunt, um das mindeste zu sagen.
»Aye. Ich habe sie noch einmal gesehen, als ich das Kind abholte.« Unter anderen Umständen hätte ich vielleicht Mitgefühl empfunden. Wie die Dinge lagen, war meine Stimme jedoch eisig.
»Und was hat sie gesagt?«
Er antwortete nicht gleich, und ich war mir nicht sicher, ob er einfach die Information nicht preisgeben wollte oder ob er sich seine Worte ganz genau überlegte. Scheinbar war es letzteres, denn er sprach sehr langsam und genau.
»Sollte ich dich je wiedersehen, so sollte ich dir zwei Dinge sagen, und zwar ganz genau so, wie ich sie von ihr hörte. Das erste war: ›Ich glaube, es ist möglich, aber ich weiß es nicht.‹ Und das zweite - das waren nur Zahlen. Ich mußte sie mehrmals wiederholen, bis sie ganz sicher war, daß ich sie mir richtig eingeprägt hatte. Die Zahlen waren eins, neun, sechs und acht.«
Er schaute mich fragend an.
»Kannst du was damit anfangen?«
»Nein«, log ich und ging zu meinem Pferd.
»Ich glaube, es ist möglich.« Damit konnte sie nur eins meinen: Sie glaubte, daß es möglich wäre, durch den Steinkreis an meinen richtigen Platz zurückzukehren, auch wenn sie es nicht sicher wußte. Offensichtlich hatte sie es nicht selbst ausprobiert, sondern sich dafür entschieden zu bleiben und teuer dafür bezahlt. Sie wird ihre Gründe gehabt haben. Ob es Dougal war?
Was die Zahlen anging, so war mir sofort klar, was sie bedeuteten. Sie hatte sie einzeln genannt, um ihre Bedeutung zu verschleiern, ein Verhalten, daß ihr wahrscheinlich schon in Fleisch und Blut übergegangen war, aber in Wirklichkeit war es eine einzige Zahl: 1968. Das Jahr, in dem sie in die Vergangenheit verschwand.
Ich empfand Neugierde und tiefes Bedauern. Wie schade, daß ich die Impfnarbe an ihrem Arm erst gesehen hatte, als es zu spät war! Hätte ich sie jedoch früher entdeckt, dann wäre ich vielleicht mit ihrer Hilfe zum Steinkreis zurückgekehrt und hätte Jamie verlassen.
Jamie. Der Gedanke an ihn lastete wie ein Bleigewicht auf mir. Nicht lange . Der Weg zog sich endlos hin, verlor sich manchmal vollständig im gefrorenen Morast. In eisigem Nieselregen, der sich bald in Schnee verwandeln würde, erreichten wir am Abend des zweiten Tages unser Ziel.
Das Gebäude zeichnete sich schwarz vor dem bewölkten Himmel ab. Es war ein gigantischer Klotz, über hundert Meter lang, mit einem Turm an jeder Ecke. Dreihundert Gefangene konnten darin untergebracht werden, und dazu die vierzig Soldaten der Garnison mit ihrem Kommandanten, der zivile Gouverneur mit seinen Leuten, die vier Dutzend Köche, Wärter, Stallknechte und andere Dienstboten, die nötig waren, um die Festung in Schwung zu halten.
Ich schaute an den einschüchternden Mauern aus grünem Granit empor, die da und dort von winzigen Fenstern durchbrochen waren. In einigen flackerte Licht auf, die meisten blieben jedoch dunkel. Vermutlich waren das die Gefängniszellen. Ich schluckte. Angesichts der erdrückenden Wucht dieses Gebäudes, der undurchdringlichen Mauern, des gewaltigen, fest verschlossenen Tores und der Wachen kamen mir Zweifel.
»Was, wenn« - mein Mund war trocken, und ich hatte Mühe, die Worte auszusprechen -, »was, wenn wir es nicht schaffen?«
Murtagh war nicht anders als sonst auch, mürrisch und verschlossen.
»Dann wird Dougal uns an seiner Seite begraben«, antwortete er. »Los, wir haben Arbeit zu tun.«
SIEBTER TEIL
Die Zuflucht
35
Das Wentworth-Gefängnis
Sir Fletcher Gordon war ein kleiner, untersetzter Mann, dessen gestreifte Weste wie angegossen saß. Mit den herabhängenden Schultern und dem vorstehenden Bauch glich er eher einem großen Schinken, den man auf den Gouverneursstuhl gesetzt hatte.
Er war kahlköpfig und hatte eine rosarote Gesichtsfarbe, was
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