Feuer Und Stein
Haut war verschwunden.
»Ich habe ihn alle paar Stunden geweckt, um ihm ein paar Löffel Brühe einzuflößen.« Bruder Roger löste den Blick von seinem Patienten, sah zu mir auf und prallte förmlich zurück. Vielleicht hätte ich mich doch kämmen sollen. »Äh, vielleicht… möchten Sie auch etwas?«
»Nein, danke. Ich glaube…, ich schlafe doch lieber noch ein bißchen.« Ich fühlte keine Schuld und Depression mehr auf mir lasten, vielmehr breitete sich eine angenehme Schwere und Schläfrigkeit in meinen Gliedern aus. Ob es nun auf die Beichte oder den Wein zurückzuführen war, wußte ich nicht, jedenfalls freute ich mich auf mein Bett.
Ich beugte mich vor und berührte Jamie. Er war warm, ohne eine Spur von Fieber. Ich streichelte ihm zart über den Kopf und
glättete die zerzausten roten Haare. Ein Mundwinkel hob sich kurzzeitig. Ich war ganz sicher, daß ich das gesehen hatte.
Der Himmel war kalt und feucht. Graue Eintönigkeit erstreckte sich bis zum Horizont und vermischte sich mit dem grauen Nebel über den Hügeln und dem fleckigen alten Schnee, so daß es schien, als sei die Abtei in einen schmutzigen Wattebausch eingehüllt. Selbst im Inneren des Klosters lastete die Stille des Winters auf den Bewohnern. Die Lobgesänge in der Kapelle klangen gedämpft, und die dicken Steinwände schienen alle Geräusche zu schlucken.
Jamie schlief fast zwei Tage lang und wachte nur auf, um etwas Fleischbrühe oder Wein zu sich zu nehmen. Danach verlief der Genesungsprozeß so, wie das bei einem sonst gesunden jungen Mann üblich ist, der plötzlich seiner Kraft und seiner Unabhängigkeit beraubt wird. Mit anderen Worten - er ließ sich die Fürsorge etwa vierundzwanzig Stunden lang mit Genuß gefallen und wurde dann unruhig, zappelig, reizbar, mürrisch, unzufrieden und äußerst mißlaunig.
Die Striemen an seinen Schultern schmerzten. Die Narben an den Beinen juckten. Er hielt es nicht mehr aus, auf dem Bauch zu liegen. Das Zimmer war zu heiß. Der Rauch biß ihm in die Augen, so daß er nicht lesen konnte. Fleischbrühe, Biersuppe und Milch hingen ihm zum Hals heraus. Er wollte Fleisch.
Ich erkannte die Anzeichen der Genesung und war froh darüber, war aber nicht bereit, alles zu schlucken. Ich lüftete, wechselte die Bettwäsche, rieb ihm den Rücken mit Ringelblumensalbe und die Beine mit Aloesaft ein. Dann rief ich einen der Brüder, die den Küchendienst versahen, und bestellte Fleischbrühe.
»Ich kann dieses Schlabberzeug nicht mehr ertragen! Ich brauche etwas zwischen die Zähne!« Er stieß das Tablett gereizt zur Seite, so daß die Brühe auf die Serviette spritzte.
Ich verschränkte die Arme und blickte auf ihn herunter. Herrische blauen Augen starrten zurück. Er war dünn wie ein Strich; Kiefer und Backenknochen zeichneten sich scharf unter der Haut ab. Obwohl er gute Fortschritte machte, brauchten die Magennerven noch etwas Schonung. Er konnte selbst Milch und Brühe nicht immer bei sich behalten.
»Du bekommst etwas zu essen, wenn ich es erlaube, und kein bißchen früher.«
»Ich esse jetzt! Glaubst du etwa, du könntest mir vorschreiben, was ich essen darf?«
»Ja, genau das glaube ich! Ich bin hier der Doktor, falls du das vergessen hast.«
Er schwang die Beine über die Bettkante, offensichtlich in der Absicht, gewisse Schritte zu unternehmen. Ich drückte ihn zurück.
»Deine Aufgabe ist es, im Bett zu bleiben und zu tun, was man dir sagt, wenigstens ein Mal in deinem Leben«, herrschte ich ihn an. »Du kannst noch nicht aufstehen, und du kannst noch keine feste Nahrung zu dir nehmen. Bruder Roger hat gesagt, daß du dich heute früh wieder übergeben hast.«
»Bruder Roger soll sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern, und du auch«, zischte er durch die Zähne und wollte wieder aufstehen. Er hielt sich am Tischrand fest, schaffte es, sich hochzuziehen, und stand schwankend da.
»Geh wieder ins Bett! Du fällst ja gleich hin!« Er war erschrekkend bleich, und selbst diese kleine Anstrengung hatte ihn in kalten Schweiß ausbrechen lassen.
»Das tue ich nicht, und wenn, dann ist es meine Sache.«
Ich wurde wütend.
»Ach, so ist das! Und wer hat dein elendes Leben gerettet, he? Du ganz allein, was?« Ich packte ihn am Arm, um ihn ins Bett zurückzuzerren, aber er riß sich los.
»Ich habe dich nicht darum gebeten, oder? Habe ich nicht gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen? Außerdem kann ich nicht verstehen, warum du mir das Leben gerettet hast, wenn du mich jetzt
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