Feuer Und Stein
von selber abfallen.« Der Egel löste sich leicht von der Haut und hinterließ an der Stelle, wo er sich festgesaugt hatte, ein paar Tropfen Blut. Ich tupfte die kleine Wunde mit dem Zipfel eines Tuches ab, das ich in die Essiglösung getunkt hatte. Zu meiner Überraschung hatten die Egel geholfen, die Schwellung war deutlich zurückgegangen und das Auge wenigstens teilweise offen, obwohl das Lid noch etwas verquollen wirkte. Mrs. FitzGibbons untersuchte es kritisch und entschied, daß sie keinen Egel mehr ansetzen wollte.
»Morgen wirst du fürchterlich aussehen, Junge«, sagte sie kopfschüttelnd, »aber immerhin wirst du wieder aus diesem Auge schauen können. Und jetzt sollst du dir ein Stück rohes Fleisch drauflegen und dich mit einem Schluck Bier stärken. Komm mit in die Küche.« Mrs. FitzGibbons griff nach ihrem Tablett und hielt einen Moment inne.
»Was du getan hast, war sehr freundlich, Junge. Laoghaire ist meine Enkelin, weißt du, ich danke dir in ihrem Namen. Obwohl sie dir, wenn sie Manieren hat, selbst danken sollte.« Mrs. FitzGibbons tätschelte Jamies Wange und stampfte davon.
»Wie geht es dir?« fragte ich.
»Gut.« Ich muß skeptisch ausgesehen haben, denn Jamie lächelte. »Sind nur Schrammen. Aber ich muß mich, glaube ich, schon wieder bei dir bedanken; jetzt hast du mich zum dritten Mal innerhalb von drei Tagen verarztet. Du wirst meinen, daß ich ein rechter Tolpatsch bin.«
Ich berührte einen blauen Flecken an Jamies Kiefer. »Das nicht. Nur ein bißchen leichtsinnig.« Aus dem Augenwinkel sah ich, daß sich am Hofeingang etwas Blaues und Blondes regte. Das Mädchen Laoghaire verharrte scheu im Hintergrund, als sie mich sah.
»Ich glaube, da möchte jemand unter vier Augen mit dir sprechen«, sagte ich. »Ich gehe jetzt. Morgen können wir den Verband an deiner Schulter entfernen. Ich werde dich schon irgendwie finden.«
»Gut. Ich danke dir noch einmal.« Jamie drückte mir zum Abschied die Hand. Ich ging und betrachtete voll Neugier das Mädchen, als ich an ihr vorbeikam. Aus der Nähe war sie noch hübscher - sanfte blaue Augen und rosige Haut. Sie errötete, als sie Jamie ansah. Ich verließ den Hof und fragte mich, ob seine ritterliche Geste tatsächlich so selbstlos gewesen war, wie ich gedacht hatte.
Am nächsten Morgen wurde ich bei Tagesanbruch vom Lärmen der Vögel draußen und der Menschen drinnen geweckt. Ich zog mich an und wanderte durch die zugigen Flure zum Saal. Er diente nun wieder als Speiseraum, und aus gewaltigen Kesseln wurde Haferbrei verteilt, dazu im Kamin gebackene und mit Sirup bestrichene Haferkuchen. Der Geruch des dampfenden Essens war fast so kräftig, daß man sich dagegenlehnen konnte. Ich war immer noch ziemlich durcheinander, aber das warme Frühstück munterte mich auf, und ich beschloß, ein bißchen auf Erkundung auszugehen.
Ich sagte Mrs. FitzGibbons, deren Arme bis zu den Ellbogen in Teig staken, daß ich Jamie suchen wollte, um seinen Verband zu entfernen und zu sehen, wie seine Schußwunde heilte. Mit ihrer großen, klebrigen Hand winkte sie einen ihrer kleinen Diener zu sich.
»Alec, lauf los und such Jamie, den neuen Zureiter. Sag ihm, er soll mit dir kommen und nach seiner Schulter schauen lassen. Wir sind im Kräutergarten.« Ein scharfes Fingerschnippen, und der junge Alec sauste aus dem Saal, um meinen Patienten zu holen.
Mrs. FitzGibbons überließ ihren Teig einer Magd, reinigte sich die Hände und wandte sich mir zu.
»Es wird eine Weile dauern, bis sie da sind. Möchten Sie unterdessen einen Blick in den Kräutergarten werfen? Sie scheinen etwas von Pflanzen zu verstehen, und wenn Sie Lust haben, können Sie dort in Ihrer freien Zeit ein wenig aushelfen.«
Der Kräutergarten mit seinen Heil- und Gewürzkräutern lag in einem Innenhof, der groß genug war, daß die Sonne hereinschien, aber windgeschützt und mit eigenem Ziehbrunnen. Im Westen säumten ihn Rosmarinbüsche, im Süden Kamille, und Amarant markierte die nördliche Grenze. Im Osten wurde er von der Burgmauer eingeschlossen. Ich sah die grünen Spitzen von spätblühendem Krokus und die weichen Blätter von Sauerampfer, der aus der fetten Erde sproß. Mrs. FitzGibbons zeigte mir Fingerhut, Portulak, Zehrkraut und noch ein paar Gewächse, die ich nicht kannte.
Ende Frühling war die Zeit zum Pflanzen. In dem Korb, der über Mrs. FitzGibbons’ Arm hing, lagen Knoblauchzehen, die Keime der sommerlichen Ernte. Die runde Dame reichte mir den Korb samt einem
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