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Feuer Und Stein

Titel: Feuer Und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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hatte es mit einer sterilen Nadel geöffnet und mit einer Salbe aus Pappelknospen bestrichen. Bei der Gelegenheit hatte ich herausgefunden, daß MacRae ein schüchterner, sanfter Mann mit einem netten Lächeln war.
    Jetzt allerdings lächelte er nicht; MacRaes Miene war, dem Anlaß entsprechend, streng. Sehr vernünftig, dachte ich; niemand legte Wert auf einen grinsenden Scharfrichter.
    Der Missetäter wurde vorgeführt und mußte sich auf den Sockel in der Mitte des Platzes stellen. Der Junge sah blaß und erschrokken aus, rührte sich jedoch nicht, als Arthur Duncan seinen wohlgerundeten Körper würdevoll aufrichtete und sich darauf vorbereitete, das Urteil zu sprechen.
    »Der Dummkopf hatte bereits gestanden, als ich auftauchte«, sagte eine Stimme neben mir. Geillis spähte interessiert über meine Schulter. »Darum konnte ich keinen Freispruch erwirken. Aber er kommt so glimpflich wie nur möglich davon; bloß eine Stunde am Pranger mit angenageltem Ohr.«

    »Mit angenageltem Ohr? Wo angenagelt?«
    »Am Pranger natürlich.« Geillis warf mir einen seltsamen Blick zu, wandte sich dann jedoch wieder zum Fenster, um zu beobachten, wie das milde Urteil, das ihrer gnädigen Fürsorge zu verdanken war, vollstreckt wurde.
    Am Pranger herrschte ein solches Gedränge, daß man kaum etwas von dem Missetäter sah, aber die Menge zog sich ein wenig zurück, damit der Büttel genug Platz hatte, um das Ohr anzunageln. Der Junge stand kalkweiß und klein in der hölzernen Zange des Prangers, hatte beide Augen geschlossen und zitterte vor Angst. Als der Nagel durch den Knorpel getrieben wurde, stieß er einen hohen, dünnen Schrei aus, der durch die geschlossenen Fenster zu hören war, und auch mich schauderte.
    Wie die meisten Zuschauer auf dem Platz gingen wir wieder an die Arbeit, aber ich mußte ab und zu aufstehen und nach dem Pranger sehen. Müßiggänger machten halt, um das Opfer zu verhöhnen und mit Dreck zu bewerfen, und dann und wann kam ein sittlich gefestigter Bürger und nahm sich ein paar Minuten Zeit, um mit wohlgesetzten Worten zur moralischen Besserung des Delinquenten beizutragen.
    Wir tranken gerade Tee in der Wohnstube unten, als ein Klopfen an der Tür einen Besucher anmeldete. Der Tag war so trübe, daß sich kaum sagen ließ, wie hoch die Sonne stand. Doch die Duncans nannten voll Stolz eine Uhr ihr eigen, ein prächtiges Ding aus Nußbaum mit Messingpendel und einem Zifferblatt, das ein Engelschor schmückte, und dieses Chronometer verkündete, daß es halb sieben war.
    Die Küchenmagd öffnete die Tür zur Wohnstube und sagte zwanglos: »Hier rein.« Jamie MacTavish duckte sich automatisch beim Eintreten; die roten Haare waren vor Nässe dunkel wie alte Bronze. Er trug einen recht betagten und unansehnlichen Mantel zum Schutz vor dem Regen und hatte einen zusammengelegten Reitumhang aus schwerem grünem Samt unter dem Arm.
    Als ich mich erhob und ihn Geillis vorstellte, nickte Jamie und sagte: »Guten Abend, die Damen.« Er deutete zum Fenster. »Wie ich sehe, hat sich heute nachmittag da draußen einiges getan.«
    »Ist er noch da?« fragte ich. »Er muß tropfnaß sein.«
    »Allerdings.« Jamie breitete den Umhang aus und hielt ihn mir entgegen. »Und du könntest es auch werden, hat sich Colum gedacht.
Ich hatte etwas im Dorf zu erledigen, darum hat er mich samt dem Umhang hierhergeschickt. Du sollst mit mir zurückreiten.«
    »Das ist sehr freundlich von ihm.« Ich sprach geistesabwesend, denn in Gedanken war ich immer noch bei dem Gerberjungen.
    »Wie lange muß er dort bleiben?« fragte ich Geillis. »Der Junge am Pranger«, fügte ich ungeduldig hinzu, als ich ihren verständnislosen Blick sah.
    »Ach, der«, erwiderte sie und runzelte die Stirn, weil ich ein so unwichtiges Thema zur Sprache brachte. »Eine Stunde, habe ich das nicht gesagt? Der Büttel müßte ihn inzwischen losgemacht haben.«
    »So ist es«, bestätigte Jamie. »Ich habe ihn gesehen, als ich über den Anger gekommen bin. Der Junge hat nur noch nicht den Mut aufgebracht, sich loszureißen.«
    Ich sperrte den Mund auf. »Soll das heißen, der Nagel wird ihm nicht aus dem Ohr genommen? Er muß sich losreißen ?«
    »Ja«, antwortete Jamie leichthin. »Ihm ist noch ein bißchen bang, aber ich glaube, er wird sich bald daran machen. Es ist naß draußen, und es wird dunkel. Wir müssen selber gehen, sonst bekommen wir nichts als Reste zum Abendessen.« Jamie verneigte sich vor Geillis und wandte sich zum Gehen.
    »Warte einen

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