Feuer Und Stein
Handwurzel und Mittelhand, und die Gassen mit den Katen stellten die Fingerglieder dar.
Das Haus der Duncans befand sich am Platz, wie es sich für den Prokurator gebührte. Dabei handelte es sich nicht nur um eine Statusfrage, es war auch zweckmäßig: Der Platz bot genug Raum für solche Rechtsangelegenheiten, die aufgrund öffentlichen Interesses oder juristischer Notwendigkeit nicht in Arthur Duncans engem Arbeitszimmer verhandelt werden konnten. Und es war praktisch, weil auch der Pranger dort stand, ein schlichtes hölzernes Ding auf einem kleinen Steinsockel, gleich neben einem Pfahl, der je nach Bedarf - welch sparsame Vielfalt! - als Schandpfahl, Maibaum, Fahnenmast und Stange zum Anbinden von Pferden diente.
Der Lärm hatte unterdessen zugenommen und war ungehöriger, als es für Menschen, die gesittet von der Kirche zurückkehrten, passend schien. Geillis stellte ihre Schalen mit dem Ausruf der Ungeduld
beiseite und riß das Fenster auf, um festzustellen, was den Tumult verursachte.
Ich trat zu ihr und sah eine Menge Leute, angeführt vom stämmigen Vater Bain, dem im Dorf und auf der Burg die Seelsorge oblag. In seinem Gewahrsam befand sich ein Junge, vielleicht zwölf Jahre alt, dessen zerlumpte Hose und stinkendes Hemd ihn als Gerberkind auswiesen. Der Priester hatte den Knaben beim Kragen gepackt, was ihm recht schwerfiel, da der Gefangene ein Stück größer war als sein kurzwüchsiger Wärter. Die Menge folgte dem Paar dichtauf, und ihre mißbilligenden Äußerungen klangen wie leises Donnergrollen.
Während wir vom Dachboden aus zuschauten, verschwanden Vater Bain und der Junge im Haus. Die Menge blieb raunend und drängelnd draußen. Ein paar kühne Seelen machten Klimmzüge an den Fenstersimsen und versuchten, nach drinnen zu lugen.
Geillis schloß das Fenster.
»Wahrscheinlich hat er etwas gestohlen«, sagte sie lakonisch und kehrte zum Tresen zurück. »Das tun Gerberjungen oft.«
»Was geschieht nun mit ihm?« fragte ich neugierig. Geillis zuckte die Achseln und zerbröselte getrockneten Rosmarin zwischen den Fingern.
»Ich denke, das hängt davon ab, ob Arthur heute Verdauungsstörungen hat. Wenn er das Frühstück gut vertragen hat, kommt der Junge vielleicht mit einer Tracht Prügel davon. Aber wenn er unter Verstopfung oder Blähungen leidet…« - Geillis verzog angewidert das Gesicht -, »dann wird der Knabe wohl ein Ohr oder eine Hand verlieren.«
Ich war entsetzt, scheute mich aber, direkt einzugreifen. Schließlich war ich fremd hier und eine Engländerin obendrein. Zwar würde man mich als Burgbewohnerin wohl mit einigem Respekt behandeln, aber ich hatte gesehen, daß viele Dörfler, wenn sie mich sahen, heimlich ein Zeichen machten, das das Böse abwenden sollte. Wenn ich mich einmischte, könnte das durchaus böse Folgen für den Jungen haben.
»Wollen wir uns nicht duzen?« fragte ich.
»Aber gerne«, sagte Geillis munter.
»Also - kannst du nicht irgend etwas tun?« erkundigte ich mich. »Mit deinem Mann sprechen, meine mich, ihn bitten, daß er, äh, Milde walten läßt?«
Geillis blickte überrascht von ihrer Arbeit auf. Es war ihr offensichtlich noch nie eingefallen, sich in die Angelegenheiten ihres Mannes zu mischen.
»Warum kümmert es dich, was mit ihm geschieht?« fragte sie.
»Er ist doch noch ein Kind«, antwortete ich. »Und was er auch getan haben mag - er verdient es nicht, verstümmelt zu werden!«
Geillis zog die blassen Brauen empor; meine Argumente überzeugten sie nicht. Trotzdem zuckte sie die Achseln und übergab mir Reibschale und Stößel.
»Was macht man nicht alles für eine Freundin!« sagte sie und verdrehte die Augen. Sie ließ den Blick über ihre Regale schweifen und nahm eine Flasche mit grünlichem Inhalt, auf deren Etikett in feingeschwungener Kursivschrift PFEFFERMINZ-EXTRAKT stand.
»Ich verabreiche Arthur jetzt seine Medizin, und während ich dabei bin, werde ich sehen, ob ich etwas für den Jungen tun kann. Aber ich muß dich warnen: Es ist vielleicht schon zu spät. Und wenn dieser schäbige Priester die Hand im Spiel hat, wird er für eine möglichst harte Strafe plädieren. Trotzdem werde ich es versuchen. Du zerstößt unterdessen den Rosmarin, das dauert immer ewig.«
Als Geillis gegangen war, nahm ich den Mörser zur Hand und zerkleinerte und mahlte automatisch, ohne das Resultat zu beachten. Das geschlossene Fenster dämpfte die Geräusche von draußen; der Regen und das Geraune der Menge vermischten sich und drangen
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