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Feuer Und Stein

Titel: Feuer Und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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als eine Art bedrohliches Plätschern zu mir. Wie fast alle Schulkinder hatte ich Dickens gelesen. Und ältere Autoren mit ihren Beschreibungen der mitleidlosen »Gerechtigkeit« jener Tage, die allen Missetätern ohne Rücksicht auf ihr Alter zuteil wurde. Doch es war etwas anderes, aus einem gemütlichen Abstand von ein- oder zweihundert Jahren vom Vollzug der Todesstrafe an Kindern oder Verstümmelungen im Namen der Justiz zu lesen, als ruhig dazusitzen und Kräuter zu pulverisieren, während sich nebenan etwas Derartiges ereignete.
    Würde ich mich dazu entschließen, einzugreifen, wenn das Urteil gegen den Jungen ging? Ich trat ans Fenster und spähte hinaus. Die Menge wurde immer größer; Krämer und Hausfrauen wanderten die High Street hinunter, um zu sehen, was los war. Neuankömmlinge beugten sich vor, während ihnen die Leute, die schon eine Weile dastanden, erregt alles erzählten; dann mischten sich die
Neuankömmlinge unter die anderen, und noch mehr Gesichter wandten sich erwartungsvoll zur Tür des Hauses.
    Ich blickte auf die Versammlung hinunter, die geduldig im Nieselregen auf das Urteil wartete, plötzlich wurde mir etwas klar. Wie so viele hatte auch ich entsetzt den Schilderungen gelauscht, die nach dem Krieg aus Deutschland kamen: Geschichten von Deportationen und Massenmord, von Konzentrationslagern und Verbrennungen. Und wie so viele hatte ich mich gefragt: »Warum haben die Menschen das zugelassen? Sie müssen es gewußt haben, sie haben doch sicher die Lastwagen gesehen, die Zäune und den Rauch. Wie konnten sie nur tatenlos daneben stehen?« Jetzt wußte ich es.
    Und hier ging es nicht einmal um Leben oder Tod. Ich stand unter Colums Schutz; wahrscheinlich würde mich niemand körperlich angreifen. Trotzdem wurden meine Hände feucht bei dem Gedanken, allein und hilflos hinauszutreten, um mich dieser Schar von tugendhaften Bürgern entgegenzustellen, die, um die tägliche Langeweile zu lindern, erregt nach Strafe und Blut gierten.
    Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sich die Tür öffnete und Geillis zurückkam, kühl und gelassen mit einem kleinen Stück Holzkohle in der Hand.
    »Wenn es gekocht ist, werden wir’s durchseihen müssen«, bemerkte sie, als führte sie unser Gespräch von vorhin fort. »Ich glaube, dazu nehmen wir Musselin und Holzkohle; das ist das beste.«
    »Geillis«, sagte ich ungeduldig, »spann mich nicht auf die Folter. Was ist mit dem Gerberjungen?«
    »Ach, der -« Sie zog wegwerfend die Schulter hoch, aber ihre Mundwinkel umspielte ein schelmisches Schmunzeln. Dann gab sie ihre Verstellung auf und lachte.
    »Du hättest mich sehen sollen!« sagte sie kichernd. »Ich war wirklich gut, auch wenn ich selbst das sage. Ganz die besorgte Gattin, mit einem Gran mütterlichen Mitgefühls. ›O Arthur!‹ so habe ich begonnen. ›Wäre unsere Ehe mit einem Kind gesegnet gewesen! ‹ - da kann er lang drauf warten, schließlich hab ich ein Wörtchen mitzureden -«, fuhr Geillis weniger seelenvoll und mit einer Kopfbewegung zu ihren Kräuterregalen fort, »was würdest du empfinden, Liebster, wenn dein eigener Sohn so vor dir stünde? Zweifellos hat nur der Hunger den Burschen zum Diebstahl getrieben.
O Arthur, der du die Gerechtigkeit selbst bist - vermagst du es nicht, barmherzig zu sein?« Geillis ließ sich lachend auf einen Hocker sinken und schlug sich mit der flachen Hand auf das Bein. »Welch ein Jammer, daß man hier nirgendwo richtig Theater spielen kann!«
    Der Lärm der Menge draußen klang jetzt anders, und ich ignorierte Geillis’ Eigenlob und trat ans Fenster, um zu sehen, was nun geschah.
    Die Leute machten den Weg frei, um den Gerberjungen in Begleitung von Priester und Prokurator hindurchzulassen. Arthur Duncan war regelrecht aufgeblasen vor Güte; er verbeugte sich gemessen vor den wichtigeren Mitgliedern der Versammlung und nickte ihnen zu. Vater Bain dagegen ähnelte einer mürrischen Kartoffel.
    Die kleine Prozession zog zur Mitte des Platzes, wo sich der Dorfbüttel, ein gewisser John MacRae, aus der Menge löste, um sie zu empfangen. Er war, wie es seinem Amt geziemte, ebenso nüchtern wie elegant in dunkle Kniehosen, einen ebensolchen Rock und einen grauen Samthut gekleidet. John MacRae versah die Pflichten eines Polizisten, Zollinspektors und Scharfrichters.
    All dies hatte er mir selbst erzählt. Er war vor ein paar Tagen auf der Burg gewesen, um zu sehen, ob ich ein hartnäckiges Nagelbettgeschwür an seinem Daumen behandeln könnte. Ich

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