Feueraugen II. Drei Städte
Kathedrale mit mächtigem Schiff und einem Turm, der im abendlichen Regenhimmel ohne Ende in den Himmel zu ragen scheint.
"Toll, die verehren hier ihren Gott wie wir bei uns!" stellt Michel fasziniert fest.
"Fast wie der große Dom in Köln!" sagt Emma.
"Glauben gibt's überall. Wo's menschliche Schwäche gibt, braucht's Religion und das ganze Zeug!" Rodolphe vollführt eine wegwerfende Geste und lacht trocken in sich hinein. Der Kulissenfachmann glaubt -wie man weiß- nur an sich selbst und manchmal auch an James Jones Baldwin und den Durchbruch in der Filmwelt.
"Wenn man hier solch eindrucksvolle Gotteshäuser baut, dann müssten diese Stätten doch ebenso geheiligt sein, wie bei uns." erklärt Michel. "Vielleicht gibt es dann auch so etwas wie kirchliches Asylrecht?"
"Das wär' drin!" bestätigt Rodolphe. "Wollt ihr euch die Kathedrale anseh'n? Auf besseres Wetter warten können wir da drinnen genauso gut - und wahrscheinlich haben wir da eher unsere Ruhe!"
"Prima!" Emma nickt begeistert. "Da könnt', ich auch gleich beten. Vielleicht, hilft's was!"
Rodolphe muss sich schon sehr beherrschen, jetzt nicht mit seinem gefürchteten Hohngelächter herauszuplatzen. Immerhin ist es ihm ziemlich gleichgültig, was Michel und Emma in der Kirche tun werden.
"Wir trennen uns. Ihr könnt durch den Haupteingang hinein ... ich such' mir 'nen andren Weg. Bis später. Wir treffen uns an den Beichtstühlen - so was gibt's da bestimmt auch. Und wenn nicht – ich find' euch schon!"
Michel nickt nur und schon ist Rodolphe verschwunden. Emma hängt sich bei ihrem Beschützer ein und zusammen betreten sie kurz darauf das Kirchengebäude durch einen Seiteneingang.
* * *
Das riesige Kirchenschiff macht einen überwältigenden Eindruck auf Emma und Michel. Hohe Säulen, hervorragend gearbeitete Statuen aus Marmor, große Wandgemälde und wunderbare Fresken im Stil alter europäischer Meister, wie sie ihnen bekannt sind, fallen ihnen zuerst auf. Details gibt es unzählige zu bestaunen.
In einiger Entfernung von ihnen entfernt schreitet ein Priester einen Quergang im nördlichen Seitenschiff entlang. Vor dem herrlichen Aufbau des Hauptaltars sehen sie einen anderen stehen, der gerade ein Bouquet mit Blumen herrichtet. Als es fertig ist, stellt er es in einer Vase unter einen blitzenden Kerzenständer auf den Altar.
"Ob der aus Gold ist"?" flüstert Michel Emma zu. "Solch einen prachtvollen Kerzenständer habe ich noch nie gesehen."
"Wirklich scho' eine pfundige Kirch'n!" meint sie und sieht sich noch immer mit den großen, staunenden Augen eines Kindes um.
"Komm ... wir trödeln. Rodolphe sollten wir nicht warten lassen. Schließlich sind wir nicht zu unserem Vergnügen hier." Michel hat sich an Baldwin und die anderen erinnert. Energisch zieht er Emma von einem besonders ausdrucksvollen Gemälde über einem Seitenaltar fort.
Sie entdecken bald eine lange Reihe mit reichem Schnitzwerk versehener Beichtstühle. Zwar gibt es -wie sie herausfinden- auf der gegenüberliegenden Seite des Seitenschiffs eine identische, zweite Reihe, doch Rodolphe ist weder hier noch dort zu sehen.
"Vielleicht hat er sich hier irgendwo versteckt. Komm', wir knien uns da vorne auf die Bank und warten erst mal ab." schlägt Michel vor.
Nebeneinander nehmen sie dann Plätze ein, knien nieder und beten - oder tun jedenfalls so als ob.
Kurz darauf taucht Rodolphe hinter einem faltenreich bis auf den blank gebohnerten Fußboden herab reichenden schweren Samtvorhang auf.
"Jessas - nehmen s' doch den Helm ab, Rodolphe." Emma gestikuliert aufgeregt. "So fällt doch a jeder auf."
"In der Kirche nimmt man seine Kopfbedeckung ab!" vervollständigt Michel Emmas Gedanken.
Ein kurzes Brummeln folgt, doch Rodolphe folgt ihrem Rat.
Michel und Emma haben sich erhoben. Jetzt stehen sie mit Rodolphe zusammen beim letzten der Beichtstühle.
"Ich hab gerade zwei Pfaffen miteinander reden hören. Die haben sich da ganz interessante Sachen erzählt." berichtet Rodolphe, dessen abfälliger Ton über die Geistlichen Emma nicht gefällt. "Mich halten sie für einen großen Philosophen, sagte der eine. Unbedingt will ich nach Rachass ziehen. Der Chef und die anderen suchen mich, um mit mir zusammen die Ordensbrüder zu finden. Allerdings misstraut man der ganzen Sache. Wie's scheint, hält man uns eher für Spione aus dem fernen Europa. Der eine Priester hat bedauert, dass man demnächst alle hinrichten wird. Aber es muss
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