Feueraugen II. Drei Städte
dass der König uns ziehen lässt." erwidert Michel.
"Und Rodolphe? Was ist mit meinem Rodolphe?" Baldwin hat Michel an der Schulter gepackt und beginnt ihn jetzt zu schütteln. "Warum ist er nicht mit euch gekommen, wenn alles in Ordnung ist? Was will er denn vor der Stadt?"
Michel weiß darauf keine Antwort. Auch die Übrigen können Baldwin nicht besänftigen.
"Ich glaube nicht, dass Rodolphe sich vor der Stadt umsehen wird!" erklärt schließlich X.
"Aber ... was'n dann? Er ist doch davon. Er hat in der Kirch'n a kostbares Fenster kaputt g'schlag'n und den Pater einen schönen Schreck eing'jagt." sagt Emma. "Vielleicht hat er selbst was rausg'funden was er uns nicht sag'n hat können, wo doch die Pater bei uns waren."
"Diese Möglichkeit besteht durchaus, Monsieur Michel!" gibt X zu. "Aber ich halte Rodolphe für klug genug, keine Möglichkeit auszulassen. Wenn er an eine Rettung glaubt, dann nur durch eigene Kraft. Auch ich bin nicht überzeugt davon, dass wir morgen vor dem Hohen Gericht viel Staat machen können ... mit unserer Wahrheit. Stellt euch doch nur einmal vor, wie sich diese Menschen alleine mit der Tatsache auseinandersetzen sollen, dass wir aus einer 'anderen Welt' gekommen sind. Man wird uns vielleicht nicht mehr für Staatsfeinde halten ... aber wer sagt uns, dass sie uns nicht als 'Ketzer' oder als 'Teufel' hinrichten?"
"Aber was kann er denn unternehmen?" jammert Baldwin. "Alleine ist er doch machtlos gegen die Soldaten."
"Natürlich, er kann sich schlecht ein Zweihandschwert besorgen, den berühmten Schlachtruf anstimmen und den Palast nebst Kerker angreifen. Aber ... vielleicht hat er sich eine List überlegt! Welche auch immer."
"Was für eine Liste denn?" will Ricci wissen.
"Die Frage ist, welche Liste greift hier ... wo wir uns doch in einem Land befinden, in dem wir die Maßstäbe unserer Welt nicht anlegen dürfen."
Zeramov ist aus seiner etwas helleren Ecke herausgetreten. Auch in diesem zweiten Verlies, das die Baldwinschen kennengelernt haben, gibt es einen Entlüftungsschacht, durch den bei Tag Licht einfällt.
Für die Nacht hat man ihnen eine Laterne herein gestellt - und unter dieser befindet sich Zeramovs Platz. Mehr als zwei Stunden lang ist er mit Aufzeichnungen beschäftigt gewesen und erst jetzt steckt er seinen Notizblock fort.
"Aber was kann er tun, Alexej? Mein Lieber, sagen Sie mir doch, was Sie sich durch den Kopf gehen haben lassen!" drängt Baldwin.
"Unsere Situation hat sich kein bisschen verbessert!" beginnt Zeramov. "Solange Michel und Fräulein Killmayer noch bei Rodolphe draußen in der Stadt waren, hatten wir noch die Hoffnung, dass drei von uns es irgendwie schaffen könnten, uns zu befreien. Jetzt ist Rodolphe wieder alleine."
"Ich traue ihm nicht zu, uns hier 'raus zu holen!" sagt Dalia jetzt.
"Wenn es irgendeine Möglichkeit geben sollte, dann muss das eine ganz wahnsinnige Idee sein." erwidert der Schreiber.
"Und welche wahnsinnige Idee haben Sie sich ausgedacht?" erkundigt sich X.
"Kindesentführung ... Erpressung, das wären Möglichkeiten, doch eben deshalb, weil er alleine ist, fast nicht durchführbar! Rodolphe müsste ja nicht nur erst einmal ein Kind finden und fangen können - er muss es verstecken und seine Forderung an den König weiterbringen. Leichter wäre es für ihn doch, uns zum Beispiel morgen während der Verhandlung ein Zeichen zu geben. Er könnte einen Aufruhr inszenieren, Brand an die Stadt legen oder was immer. Irgendwie fühle ich, dass wir uns selbst den Weg in die Freiheit erkämpfen müssen."
"Gott der Gerechte ... Sie meinen, doss mer missen kämpfen?" Dr. Glücklich gefällt diese Aussicht offenbar gar nicht. "In meinem Alter ist dos nicht mehr so leicht! Ich bin kein junger Mann mehr, heren se?"
"Warten wir's ab! Ich kann nicht wissen, was Rodolphe tun wird - und vielleicht kommt alles auch ganz anders." meint Zeramov und verzieht sich wieder in die Ecke unter der Laterne.
'Außer Rodolphe gibt es keinen, der uns hier raus holen könnte. Wenn nicht zufällig ein Krieg zwischen Destrusion und diesem Land ausbricht und man keine Zeit mehr für uns hat, sehe ich ziemlich schwarz. Es sei denn ... ja ... vielleicht ginge das ...!' Zeramov lächelt ein wenig. Niemand bemerkt es, denn jeder malt sich bereits aus, wie er morgen verurteilt werden wird.
Die Methode der Hinrichtung divergiert hier sehr: Michel greift sich instinktiv an den Hals, Dr. Glücklich vergisst, wo er ist und denkt an den Elektrischen Stuhl
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